Die Schweiz braucht eine Ombudsstelle für Kinderrechte

Eine breite Allianz von Organisationen aus dem Kinderrechtsbereich, darunter UNICEF, unterstützt die Motion «Ombudsstelle für Kinderrechte» (19.3633). Diese fordert, dass die Rechtsgrundlagen für eine nationale, niederschwellige und unabhängige Ombudsstelle für Kinderrechte geschaffen werden, einerseits mit einem Auskunftsrecht gegenüber Behörden und Gerichten, andererseits bezüglich der Finanzierung. Eine solche Stelle ist in jenen Fällen nötig, in denen die Eltern ihre Verantwortung nicht wahrnehmen können, die bestehenden Gesetze von Behörden und Gerichten nicht angemessen angewendet werden und damit Kindern der Zugang zur Justiz verunmöglicht wird. Eine Ombudsstelle schafft keine Doppelspurigkeiten und berührt die Hoheit der Kantone nicht. 

Kinder können im Schweizer Rechtssystem ihre verankerten Rechte, wie das Recht auf Anhörung, oft nicht ohne zusätzliche Unterstützung wahrnehmen. Eine unabhängige Ombudsstelle für Kinderrechte verschafft oder vereinfacht ihnen situativ den Zugang zu Informationen und rechtlichen Beratungen und vermittelt zwischen dem Kind und staatlichen Stellen wie Behörden und Gerichten. Sie spricht Empfehlungen aus und stellt damit die Kinder- und Verfahrensrechte sicher. Eine nationale Ombudsstelle ist insbesondere bei interkantonalen Familiensituationen unabdingbar. Sie berät telefonisch und verweist bei Bedarf auf vorhandene Angebote von Kantonen und Gemeinden vor Ort.

Eine nationale Ombudsstelle greift nicht in die Hoheit der Kantone oder der Behörden und Gerichte ein. Sie führt selbst keine Verfahren, behandelt keine Klagen, ergreift keine Rechtsmittel, setzt keine Rechtsvertretungen ein und hat keine Weisungsbefugnis. Sie vermittelt und spricht Empfehlungen aus.

Die Allianz für eine Ombudsstelle für Kinderrechte unterstützt die Motion und sieht sie als einmalige Chance, die grosse Lücke in unserem Rechtssystem, die aufgrund des Fehlens einer Ombudsstelle für Kinderrechte besteht, endlich zu schliessen. Indem die Ombudsstelle die Kindgerechtigkeit des Justizsystems fördert und das Qualitätsmanagement des Rechtssystems unterstützt, stärkt sie die Kinderrechte insgesamt. Zudem hat ein kindgerechtes Rechtssystem direkte Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit von betroffenen Kindern und ihre Resilienz und verhindert, dass aufgrund der Missachtung der Rechte von Kindern später eine Wiedergutmachung nötig wird. Dies gilt insbesondere auch für alle Kinder mit einer Behinderung.

Die Argumente des Bundesrats gegen die Motion vermögen nicht zu überzeugen:

  • Der Verweis auf die bestehenden Kinder- und Verfahrensrechte geht am Thema vorbei. Die Ombudsstelle ist nötig, weil die bestehenden Gesetze, wie das Recht auf Anhörung, durch staatliche Stellen wie Behörden und Gerichte nicht immer korrekt angewendet werden und «Checks and Balances» für Kinder fehlen.
  • Damit Kinder ihre Rechte einfordern können, brauchen sie manchmal Unterstützung. Kinder können keine Rechtsvertretung in Anspruch nehmen, wenn sie diese Möglichkeit nicht kennen bzw. Behörden und Gerichte keine solche einsetzen. Das Interesse von Behörden und Gerichten, unentgeltliche Rechtsvertretungen für Kinder einzusetzen, ist aufgrund des Interessenkonflikts gering: Einerseits belasten die Kosten ihr Budget und andererseits gehen sie das Risiko ein, dass die Rechtsvertretung Rechtsmittel gegen ihren Entscheid ergreift. Der Zugang zum nationalen Instanzenzug und dem vom Bundesrat erwähnten Fakultativprotokoll 3 bleibt Kindern damit verwehrt.
  • Den erwähnten psychosozialen Anlaufstellen KESCHA und Pro Juventute fehlen die in der Motion geforderten und für die Wahrnehmung der Aufgabe unabdingbaren Grundlagen, insbesondere ein Auskunftsrecht, um zwischen Kindern und staatlichen Stellen wie Behörden und Gerichten vermitteln zu können, vertiefte Kenntnisse in allen Rechtsgebieten, die finanziellen Mittel sowie ein offizielles Mandat. Auch die bestmögliche Koordination bestehender Anlaufstellen ändert an dieser Lücke nichts. Zudem wird Kinderanwaltschaft Schweiz, welche ebenfalls erwähnt wird, ab 2021 keine telefonische rechtliche Beratung von Kindern und Jugendlichen mehr anbieten. 
  • Wenn der Gesetzgeber bestehende Anlaufsstellen berücksichtigen will, so kann er in der Gesetzesgrundlage ein Mandatsmodell vorsehen. Die Lücke muss aber nun, ob als Mandats- oder Verwaltungsmodell, mit einer gesetzlichen Grundlage geschlossen werden. 
     

Weitere Informationen:

Irène Inderbitzin, Geschäftsführerin von Kinderanwaltschaft Schweiz, steht Ihnen gerne für weitere Auskünfte zur Verfügung:
irene.inderbitzin(at)kinderanwaltschaft.ch, +41 52 260 15 55.

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