UNICEF Schweiz und Liechtenstein zum Bundesgesetz über «Polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus»

Die vom Bundesrat präsentierten und unterbreiteten Gesetzesentwürfe zur Verhütung und Bekämpfung von Terrorismus sehen massive Eingriffe in die Grund- und Menschenrechte, insbesondere auch in die Kinderrechte vor. UNICEF Schweiz und Liechtenstein stellt sich in dieser Form entschieden gegen die zwei Gesetzesvorlagen, die am 16. und 18. Juni 2020 im Nationalrat diskutiert werden, da Kinder und Jugendliche bei der Umsetzung in ihren Rechten verletzt werden können. 

Prävention von Terrorismus ist ein unumstritten wichtiges Anliegen – auch für den Schutz der Kinder und Jugendlichen, dennoch gehen die Änderungen im Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) entschieden zu weit. Mit der Vorlage könnte das Bundesamt für Polizei (fedpol) administrative Zwangsmassnehmen wie die Melde- und Gesprächsteilnahmepflichten, Kontaktverbote, räumliche Ein- und Ausgrenzungen im Sinne eines Hausarrests, Ausreiseverbote, elektronische Überwachung und Mobilfunklokalisierungen anordnen. All diese Massnahmen sehen massive Eingriffe in die Freiheits- und Persönlichkeitsrechte vor und beruhen auf Einschätzung und Anhaltspunkten. Es muss kein Tatverdacht vorliegen.  

Polizeiliche Massnahmen gegen Kinder

Aus kinderrechtlicher Sicht sind insbesondere die Altersgrenzen als problematisch zu verstehen. Während der Hausarrest gegen Jugendliche ab 15 Jahren verhängt werden kann, so können alle anderen Massnahmen bereits gegen Kinder ab 12 Jahren zur Anwendung kommen. Diese polizeilich-präventiven Massnahmen, mit Ausnahme des Hausarrests, dürfen dabei bis zu sechs Monate andauern und um weitere sechs Monate verlängert werden.  Die Dauer des Hausarrests kann bis zu drei Monate dauern und zweimal um weitere drei Monate verlängert werden. Damit droht Minderjährigen, die als terroristische Gefahr eingestuft werden, ein Freiheitsentzug bis zu neun Monate. Dieses Vorgehen widerspricht jedoch eindeutig Art. 37 Abs. b der UN-Kinderrechts-konvention (UN-KRK), der den Freiheitsentzug bei einem Kind ausdrücklich als absolut letztes Mittel und für die kürzeste angemessene Zeit vorschreibt. 

«Schutz und Erziehung» als Grundsatz

Das präventive Massnahmenpaket weist einen potentiell stigmatisierenden Charakter auf, sodass die Kinder und Jugendlichen einer Kriminalisierung ausgesetzt werden können. Ein eigentlicher Verdacht, der strafrechtlich relevant wäre, muss nicht vorliegen und auf der Grundlage von Hypothesen können Grundrechte ausgehebelt werden. Gemäss Art. 40 Abs. 1 UN-KRK haben Kinder und Jugendliche jedoch das Recht, auch innerhalb des Justizsystems einen würdevollen Umgang zu erfahren, der die Entwicklung ihres Selbstbewusstseins und ihres Selbstwertes unterstützt, die aufgrund ihres Alters besondere Schutzbedürftigkeit berücksichtigt und die «soziale Wiedereingliederung sowie die Übernahme einer konstruktiven Rolle in der Gesellschaft»  fördert. Entsprechend ist der Schweiz die Verpflichtung auferlegt, Kindern und Jugendlichen, die der Verletzung des Strafgesetzes verdächtigt oder überführt werden, mit dem Grundgedanken der Resozialisierung zu begegnen und ihnen durch altersadäquate und entwicklungsspezifische Hilfeleistungen eine soziale Wiedereingliederung zu ermöglichen. 

Kein Mitspracherecht in Verfahrensangelegenheiten

Kinder und Jugendliche haben das Recht, in Gerichts- oder Verwaltungsverfahren mitzureden und ihre Meinung entsprechend in allen sie betreffenden Angelegenheiten und Situationen frei zu äussern. Dieses Recht wird in Art. 12 UN-KRK unmissverständlich formuliert, kann aber bei einer Anordnung des Kontaktverbots oder der Ein- und Ausgrenzungen nicht vollends umgesetzt werden. Zudem hat gemäss Art. 37 Abs. d UN-KRK jedes Kind, dessen Freiheit entzogen wurde, das Recht auf einen unverzüglichen Zugang zu einem für ihn geeigneten Beistand. Eine Verfügung der genannten polizeilichen Zwangsmassnahmen steht dazu jedoch im Widerspruch und missachtet spezifische Grundrechte der Kinder.  

Für eine gelingende und gesunde Entwicklung von Kindern hat sich das Schweizer Justizsystem auf der Basis der UNO-Kinderrechtskonvention verpflichtet, die soziale Wiedereingliederung von Kindern zu fördern, diese zu schützen und persönlichkeitsfördernde und verhältnismässig normalisierte Verfahrensrichtlinien zu schaffen. Die festgelegten Altersgrenzen widersprechen der Zielsetzung des Jugendstrafrechts, stehen im Konflikt mit der Verfassung und im Widerspruch zur UNO-Kinderrechtskonvention. UNICEF Schweiz und Liechtenstein fordert, dass die ausgesprochenen präventiven Zwangsmassnahmen nicht gegen Kinder und Jugendliche angewendet und die erwähnten polizeilichen Vorgehensweisen zur Bekämpfung von Terrorismus mindestens angepasst werden.

UNICEF Schweiz und Liechtenstein