Livebericht unseres UNICEF-Mitarbeiters, Urs Nagel

Urs Nagel berichtet von beiden Erdbeben, der aktuellen Lage und von den dringendsten Bedürfnissen.

Kathmandu

Bericht vom 12. Mai 2015: "Ich war bei einer Besprechung mit einem Kollegen in meinem Buero im ersten Stock, als das Gebäude anfing zu wackeln. Sofort hörte man dann das Piepsen der Erdbebenmelder – ein Geräusch das wir inzwischen leider nur zu gut kennen. Wir warteten ein paar Sekunden ab, und als es stärker zu werden schien, sprinteten wir aus dem Büro raus, die Treppe hinunter, ins Freie. Dort versammelten sich schon andere Mitarbeiter, die versuchten, noch während die Erde weiterbebte, ihre Familienangehörigen zu erreichen. Überall hörte man Menschen in Panik schreien, alle Vögel flogen unter grossem Gekrächzte auf, und Lampenpfähle und Autos schwankten heftig hin und her. Viele von uns, die das Erbeben vor zwei Wochen schon miterlebt hatten, waren zutiefst erschüttert und verunsichert, nachdem wir in den letzten Tagen so langsam zu hoffen gewagt hatten, dass sich sie die Erde wieder beruhigt.

Die meisten Menschen in Kathmandu sind auch sofort wieder ins Freie geflüchtet. Die offenen Plätz und Parks haben sich gleich wieder gefüllt. Viele Menschen haben sich studenlang nicht zurück in die Gebäude getraut und haben sich einfach im Freien aufgehalten, auf den Bürgersteigen, oder sogar mitten auf der Strasse, um Abstand von den Gebäuden zu bekommen. In den ersten paar Stunden war das Verkehrsaufkommen gross. Viele Verkehrsteilnehmer fuhren besonders aggressiv: weil es ein Arbeitstag war, wollten alle schnellstmöglich nach Hause, um sich zu vergewissern, dass Angehörige wohlauf waren.

Ich bin am Abend vor dem Sonnenuntergang mit dem Motorrad durch die Stadt gefahren. Der Verkehr hatte sich beruhigt und alle Geschäfte waren zu. Es hätte sich angefühlt wie ein Wochenende, wenn da nicht alle freien Plätz wieder zu Zeltlagern umfunktioniert worden wären. Überall haben Menschen Bambusstangen errichtet und Planen darüber gespannt, diesmal wesentlich ‘geübter’ also noch vor zwei Wochen. In der Patan Altstadt bin ich an ein paar neu zusammengestürzten Häusern vorbeigefahren - wieder alte Backsteinhäuser, aber auch ein Betonwohnhaus, das wohl während der ersten Beben schon stark beschädigt wurde. Insgesamt sind wesentlich weniger Menschen in Kathmandu direkt vom Erdbeben betroffen – obwohl in den Häusern und Wohnungen wieder viel Schaden entstanden ist (umgefallene Glaeser, Tassen, Schränke; heruntergefallene Bilder, etc.).

Aber die Angst sitzt tief, und auch uns UNICEF Mitarbeitern wurde geraten, möglichst im Freien, in Zelten zu übernachten. In der Nacht gab es noch mal zwei grosse Nachbeben. Sofort hörte man in den umliegenden Häusern die Rufe der Menschen, und die Trillerpfeifen die nun auch als Alarmsignal eingesetzt werden, um die Menschen zu wecken.

Was die Provinzen im Norden von Kathmandu anbelangt, die wohl mit am stärksten betroffen sind, wissen wir leider noch nicht viel – nur, dass wohl einige Dörfer ganz zerstört wurden, und die Nothilfe wieder von vorne anlaufen muss, um Menschen zu retten und Tote zu bergen.

Interview mit Urs Nagel, UNICEF-Mitarbeiter in Kathmandu. Durchgeführt am 30. April 2015 von Rebecca Handla, UNICEF Österreich.

Wie sieht es momentan aus?

„Menschen suchen Zuflucht vor dem Unwetter unter Planen. Im Moment stürmt und regnet es, ausserdem ist es besonders kühl für diese Jahreszeit. Vor knapp zwei Stunden haben wir ein weiteres Nachbeben erlebt. Es hatte ungefähr die Stärke von 4.8.“

Was können Sie mir über die aktuelle Lage in Nepal erzählen?

„Familien sind aus ihren Häusern geflohen und leben nun auf den Strassen und auf grossen Grünflächen oder Parks. Egal wo man hinschaut, überall sieht man Menschen unter Planen, Zelten oder Bäumen die unter ziemlich erbärmlichen Umständen leben müssen. Sie suchen nach Schutz, versuchen dem Regen Stand zu halten. Die sanitäre Situation im Moment ist schrecklich. In den Städten sind viele Wasserrohre geplatzt, dadurch wurde die Wasserversorgung teils unterbrochen. Daher ist kaum sauberes Wasser da um sich zu waschen, zu kochen oder zu trinken. Das ist besonders für Neugeborene und Kinder eine Gefahr. Viele Menschen haben keinen Zugang zu Toiletten. UNICEF bemüht sich hier um sauberes Trinkwasser, Wasserreinigungstabletten und sanitäre Anlagen.

Die Zerstörung ist enorm. Viele malerische Häuser und Tempel sind eingestürzt. Alles ist nur noch ein Haufen von Ziegelsteinen aus denen noch viele Menschen geborgen werden. Es ist eine Tragödie.“

Was benötigen die Opfer des schweren Erdbebens in Nepal besonders dringend?

„Besonders dringend brauchen wir sauberes Trinkwasser und Sanitäranalagen. Es besteht die grosse Gefahr eines Ausbruchs einer Seuche. Das müssen wir auf jeden Fall verhindern. Vor allem für die Kinder wäre dies verheerend. Durchfallerkrankungen sind eine der grössten Gefahren für Kinder, einige Fälle sind schon aufgetreten. Die Kleinen brauchen dringend unsere Unterstützung. Viele Familien wurden auseinandergerissen, zahlreiche Kinder sind plötzlich alleine. UNICEF errichtet Kinderfreundliche Zonen damit Kinder ihre schrecklichen Erlebnisse besser überwinden können und ein bisschen Routine in ihren Alltag zurückkehren kann. Dafür haben wir zahlreiche psychologische Betreuer ausgebildet. Zudem versuchen wir alleinstehende Kinder mit ihren Familien wieder zu vereinen.“

So hilft UNICEF

  • Abertausende Hygienesets und Wasserreinigungstabletten wurden schon verteilt. 
  • Wir liefern Zelte, medizinische Ausrüstung, Impfstoffe und Schulmaterialien.
  • Sozialarbeiter registrieren unbegleitete Kinder in den zwei grössten Notlagern in Kathmandu und führen sie nach Möglichkeit mit ihren Familien zusammen.
  • UNICEF stellt psychosoziale Hilfe für traumatisierte Kinder bereit und richtet Kinderfreundliche Zonen in den Notlagern ein, in denen die Kinder spielen und ihre schrecklichen Erlebnisse besser überwinden können.

Weitere News