UNICEF warnt: 600 000 Kinder in Rafah sind ohne Fluchtmöglichkeit

Vor dem Hintergrund der aktuellen Lage in Rafah, in der hunderttausende Kinder unter Verletzungen, Krankheiten, Mangelernährung, Traumata und Behinderungen leiden, appelliert UNICEF eindringlich gegen die zwangsweise Umsiedlung von Kindern und fordert die Sicherstellung lebenswichtiger Infrastruktur, die für ihr Wohlergehen unerlässlich ist.

Die 15-jährige Abrar verlor bei dem Angriff auf ihr Haus im Gazastreifen ihr rechtes Auge.
Die 15-jährige Abrar stammt ursprünglich aus Beit Lahia, im Süden des Gazastreifens. Sie wurde nach Rafah vertrieben, nachdem ihr Zuhause zerstört wurde. «Einige Granatsplitter trafen mein rechtes Auge, was zu Sehschwäche und ständigen Tränen führt», erzählt sie.

Angesichts der sich verschärfenden humanitären Krise im Gazastreifen warnt UNICEF vor den verheerenden Auswirkungen einer militärischen Belagerung und eines Einmarschs in Rafah auf die 600 000 Kinder, die derzeit in dieser Enklave Zuflucht suchen.

Nachdem im Oktober die Evakuierung in den Süden angeordnet wurde, befinden sich derzeit schätzungsweise 1,2 Millionen Menschen in Rafah – in einem Gebiet, in dem einst etwa 250 000 Menschen lebten. Damit ist Rafah mit 20 000 Menschen pro Quadratkilometer fast doppelt so dicht besiedelt wie New York City (11 300 Menschen pro Quadratkilometer). Etwa die Hälfte der Bevölkerung machen Kinder aus, von denen viele bereits mehrfach vertrieben wurden und in Zelten oder anderen notdürftig aufgestellten Unterkünften untergebracht sind.

Angesichts der hohen Anzahl gefährdeter Kinder in Rafah – darunter unzählige, die um ihr Überleben kämpfen – und der potenziellen Intensivierung der Gewalt gilt es, die Kinder so schnell wie möglich zu erreichen. Doch es besteht die Gefahr, dass Evakuierungswege mit Minen oder nicht explodierten Sprengkörpern verseucht sind. Zudem sind Unterkünfte und Dienstleistungen in möglichen Umsiedlungsgebieten knapp. UNICEF warnt vor einer drohenden Katastrophe für Kinder, falls Militäroperationen zu hohen zivilen Verlusten führen und die verbleibenden lebenswichtigen Dienste und Infrastrukturen für ihr Überleben vollständig zerstört werden.

«Mehr als 200 Tage Krieg haben einen unvorstellbaren Tribut an das Leben der Kinder gefordert», sagte Catherine Russell, UNICEF-Exekutivdirektorin. «Rafah ist jetzt eine Stadt der Kinder, die nirgendwo in Gaza sicher sind. Wenn gross angelegte Militäroperationen beginnen, sind die Kinder nicht nur durch die Gewalt, sondern auch durch Chaos und Panik gefährdet, und dies zu einer Zeit, in der ihr körperlicher und geistiger Zustand bereits geschwächt ist.»

Im Vergleich zu Erwachsenen sind Kinder besonders anfällig für die verheerenden Auswirkungen des Krieges im Gazastreifen. Sie werden überproportional oft getötet und verletzt und leiden noch stärker an den fehlenden Zugängen zu Gesundheits- und Bildungseinrichtungen sowie dem Mangel an Nahrungsmitteln und Trinkwasser. Nach jüngsten Schätzungen des palästinensischen Gesundheitsministeriums sind in diesem Konflikt bereits mehr als 14 000 Kinder getötet worden.

Schätzungen zufolge leiden Hunderttausende von Kindern in Rafah unter Behinderungen, Krankheiten oder weiteren Schwächen, die sie durch die drohenden Militäroperationen in der Stadt noch verwundbarer machen:

  • Schätzungsweise 65 000 Kinder leiden momentan unter einer Behinderung, einschliesslich Schwierigkeiten beim Sehen, Hören, Gehen, Verstehen und Lernen;
  • Etwa 78 000 Kinder sind jünger als zwei Jahre;
  • Fast 8000 Kinder unter zwei Jahren sind akut mangelernährt;
  • Rund 175 000 Kinder unter fünf Jahren – oder 9 von 10 Kindern – sind von einer oder mehreren Infektionskrankheiten betroffen;
  • Fast alle Kinder benötigen bereits psychische und psychosoziale Unterstützung.

Viele dieser Gefährdungen schliessen sich nicht gegenseitig aus, was bedeutet, dass ein und dasselbe Kind sowohl verletzt als auch krank oder mangelernährt und ein Säugling sein kann.

«Hunderttausende von Kindern, die jetzt in Rafah eingepfercht sind, sind verletzt, krank, mangelernährt, traumatisiert oder leben mit Behinderungen», sagte Russell. «Viele von ihnen wurden bereits mehrfach vertrieben und haben ihr Zuhause, ihre Eltern und ihre Angehörigen verloren. Sie müssen geschützt werden, ebenso wie die verbleibenden Dienstleistungen, auf die sie angewiesen sind, einschliesslich medizinischer Einrichtungen und Unterkünfte.»

UNICEF bekräftigt die Aufforderung des Interagency Standing Committee an Israel, «seiner gesetzlichen Verpflichtung nach internationalem humanitärem Recht und Menschenrechten nachzukommen, Nahrungsmittel und medizinische Hilfsgüter bereitzustellen und Hilfsmassnahmen zu ermöglichen – der Appell an die führenden Politiker der Welt lautet, eine noch schlimmere Katastrophe zu verhindern.»

Unter Hinweis auf die besondere Gefährdung von Kindern ruft UNICEF dringend dazu auf:

  • Es ist dringend notwendig, einen sofortigen und dauerhaften humanitären Waffenstillstand zu erreichen sowie die sofortige Freilassung von Geiseln und das Ende aller schweren Verstösse gegen Kinder sicherzustellen.
  • Der Schutz der Zivilbevölkerung und der Infrastruktur, die ihre grundlegenden Bedürfnisse wie Krankenhäuser und Unterkünfte deckt, vor Angriffen und militärischer Nutzung muss gewährleistet werden.
  • Es ist unerlässlich, den fortgesetzten Schutz von Kindern und ihren Familien sicherzustellen, insbesondere wenn sie nicht in der Lage oder nicht bereit sind, sich nach einem Evakuierungsbefehl zu bewegen. Die Menschen sollten die Freiheit haben, sich in sicherere Gebiete zu bewegen, aber niemals dazu gezwungen werden.
  • Ein sicherer und kontinuierlicher Zugang für humanitäre Organisationen und Mitarbeiter ist erforderlich, um Kinder und ihre Familien mit lebensrettender Hilfe zu erreichen, unabhängig von ihrem Standort im Gazastreifen.