Welttag gegen Kinderarbeit: Noch immer Realität für jedes 10. Kind weltweit

Jürg Keim
Jürg Keim

Der 12. Juni ist der internationale Tag gegen Kinderarbeit. Zwölf Einzelschicksale zeigen die raue Wirklichkeit von Kindern, die gefährliche oder ausbeuterische Arbeit verrichten. Ausserdem lesen Sie die neusten Entwicklungen zum Thema und erhalten  Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Dieser Junge arbeitet täglich mit seinem Vater in einer Werkstatt im Zentrum von Bagdad. Im Irak verrichten 6% der Kinder im Alter von 5 bis 14 Jahren Kinderarbeit. Armut ist für etwa ein Viertel der Bevölkerung eine tägliche Realität. Die letzten drei Jahrzehnte hatten verheerende Auswirkungen auf das Leben der irakischen Bürger.
In einer Ziegelsteinfabrik außerhalb des Stadtzentrums von Dhaka in Bangladesch arbeitet dieser 14-jährige Bub seit einem Jahr. Nachdem die 3 kg schweren Steine geformt sind, muss er sie auf Karren stapeln. Die vollbeladenen, rund 350 kg schweren Karren werden dann zu zweit zur nächsten Station gezogen und geschoben.
Ein Mädchen, das auf dem Goldminengelände von Massakama in der Region Kayes, Mali, arbeitet, wäscht mit einer Kalebasse nach Gold. Es wird geschätzt, dass 20% der in den Minen Malis arbeitenden Arbeiter Kinder sind. Weltweit verrichten über eine Million Mädchen und Buben in Bergwerken und Steinbrüchen Kinderarbeit.
Einem 13-jährigen Jungen fliegen bei der Arbeit Metallsplitter ins Gesicht. Er arbeitet schon seit vier Jahren in einer Aluminiumfabrik in Kamrangichar, einem Bezirk in der Hauptstadt von Dhaka. Die Fabrik ist nicht registriert und damit einer der vielen inoffiziellen Betriebe in Bangladeschs Hauptstadt.
Kinder laufen durch eine Mülldeponie im Bezirk Buterere in Bujumbura, der ehemaligen Hauptstadt von Burundi, um aus verwertbaren Abfällen ein paar Burundi-Francs zu machen. Durch politische Krisen und Unruhen in den letzten Jahren versank das Land immer mehr in der Armut.
In Burkina Faso gibt es rund 600 Minen. In jeder Mine arbeiten schätzungsweise 1 000 Kinder. Auch dieses Kind zerkleinert in einem Steinbruch in Pissy, einem Stadtteil von Ouagadougou, der Hauptstadt des westafrikanischen Staates Burkina Faso, Steine mit einem Mörser.
Es ist eine der schlimmsten Formen von Kinderarbeit: Kindersoldaten. Hier zwei Kinder in Yambio, im Südsudan, während einer Zeremonie, um sie aus den Reihen der bewaffneten Gruppen zu entlassen und einen Prozess der Reintegration zu beginnen. Mehr als 200 Kinder wurden damals von bewaffneten Gruppen im Südsudan freigelassen.
Ein Junge holt täglich Wasser für seine Familie und die nigerianische Flüchtlingsfamilie, die sie in ihrem Haus in Maradi, Niger, aufgenommen haben. Der Mangel an schulischer Infrastruktur inklusiv der Lehrermangel, erschwert den Zugang zur Bildung, was die Anfälligkeit der Kinder für die schlimmsten Formen der Kinderarbeit erhöhen kann.
Beim täglichen Wasserholen steht dieses junge Mädchen in der Nähe einer Wasserstelle ausserhalb ihres Dorfes, etwa 20 km westlich von El-Fasher im Sudan. Ein Viertel aller Kinder im Sudan sind in irgendeiner Form in Kinderarbeit verwickelt.
Ein syrisches Flüchtlingskind fährt auf einem Feld im Bekaa-Tal im Libanon die Ernte ein, um seine Familie mit zu ernähren. Heute sind weltweit rund 70 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Gewalt und Elend. Je länger die die Flucht dauert, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie arbeiten müssen.
Die Rohingya-Kinder hackten zuvor das Brennholz in einem weit entfernten Dschungelgebiet und bringen das Holz nun zurück nach Cox’s Bazar, dem grössten Flüchtlingslager der Welt, das in Bangladesch liegt. Gemäss einer Umfrage arbeitet die Hälfte der befragten Flüchtlingskinder mindestens sieben Stunden täglich. Ein Drittel arbeitet sieben Tage die Woche.
Junge Ziegenhirten verlassen die Stadt mit ihren Ziegen im Norden von Kenia. Mehr als 2/3 aller Mädchen und Buben, die Kinderarbeit nachgehen, sind in der Landwirtschaft beschäftigt. Oft arbeiten sie täglich und dies bei extrem langen Arbeitszeiten. Für die Schule fehlt da oft die Zeit.

Die aktuelle Situtation

Die Weltgemeinschaft hat sich mit der Agenda 2030 auf das Ziel Nr. 8.7 geeinigt, jegliche Form der Kinderarbeit, bis zum Jahr 2025 vollständig abzuschaffen.

Trotz erheblicher Verbesserung bei der Reduzierung der Kinderarbeit in den letzten zwei Jahrzehnten zeigen die jüngsten Daten, dass der weltweite Fortschritt seit 2016 stagniert. Konflikte, Krisen und die COVID-19-Pandemie haben viele Familien in die Armut gestürzt und das Risiko für Kinderarmut wieder erhöht.

2020 waren rund 63 Millionen Mädchen und 97 Millionen Buben von Kinderarbeit betroffen. Die Auswirkungen von COVID-19 gefährden weitere neun Millionen Kinder. Damit ist fast jedes zehnte Kind weltweit von Kinderarbeit betroffen. Etwas mehr als die Hälfte der betroffenen Kinder ist noch nicht einmal zwölf Jahre alt. Am verheerendsten ist die Lage in Afrika, gefolgt von Asien.

Buben sind dabei häufiger von Kinderarbeit betroffen als Mädchen. Allerdings verrichten Mädchen häufiger Aufgaben im Haushalt und bleiben damit in Statistiken oft unberücksichtigt.

Kinderarbeit ist nicht gleich Kinderarbeit

Es muss nicht per se schlecht sein, wenn Kinder ihren Eltern auf dem Feld, auf dem Markt oder im Laden mithelfen. Ganz im Gegenteil kann es für die Entwicklung eines Kindes förderlich sein, wenn es im Haushalt hilft und Verantwortung übernimmt. Aber: Die Arbeit muss dem Alter des Kindes entsprechen und darf weder gefährlich noch ausbeuterisch sein. Sobald sie die körperliche oder seelische Entwicklung des Kindes schädigen und sie vom Schulbesuch abhalten, verstossen diese Tätigkeiten gegen die Kinderrechtskonvention. Man spricht dann von Kinderarbeit, die verboten ist und abgeschafft gehört.

Auswirkungen von Covid-19 auf Kinderarbeit

Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie  drohen die weltweiten Fortschritte im Kampf gegen Kinderarbeit weiter zu untergraben. Der pandemiebedingte Verlust der Existenzgrundlage hat viele Familien in die Armut gestürzt. Armut ist die Hauptursache für Kinderarbeit und birgt die Gefahr, dass weitere Millionen Kinder von Kinderarbeit betroffen sein werden. Die Langzeitfolgen für wachsende Armut und der damit verbundene Anstieg von Kinderarbeit sind noch nicht genau absehbar.

Schule ist ein Muss

Weltweit gehen rund 53 Millionen Kinder, die Kinderarbeit verrichten, nicht zur Schule. Und Abermillionen Kinder besuchen zwar den Schulunterricht, arbeiten aber nebenbei hart. Diese Doppelbelastung ist für viele Kinder oft zu viel. Die Folge: Sie brechen die Schule entweder vorzeitig ab oder ihre Leistungen lassen im Vergleich mit anderen Kindern, die nicht parallel zur Schule arbeiten müssen, deutlich nach. Damit schwindet die Chance für eine bessere Zukunft und auf eine fair bezahlte Arbeit.

Aufgrund der durch Covid-19 erfolgten Schulschliessungen fand für Millionen von Kindern monatelang kein Unterricht mehr statt. Oft bleiben sie trotz Wiedereröffnungen dem Unterricht fern.

Haupttreiber Armut 

Die Hauptursache für Kinderarbeit ist Armut. Viele Eltern haben indes oft keine andere Wahl als ihre Kinder auf Plantagen, Müllhalden oder in Fabriken und Minen zu schicken, damit die Familie über die Runden kommt. Und sie sehen oft auch nichts Schlechtes darin. Denn wenn es ums nackte Überleben geht, denkt niemand zunächst an die Schuldbildung der Kinder. Solange es auf dieser Welt Armut gibt, wird Kinderarbeit weiterhin existieren.

Kinderarbeit nimmt in absoluten Zahlen wieder zu

Weltweit stagniert die Kinderarbeit seit 2016. Der prozentuale Anteil der Kinder in Kinderarbeit blieb während des letzten Erhebungszeitraums zwischen 2016 und 2020 unverändert (jedes 10. Kind war davon betroffen), während die absolute Zahl der Kinder in Kinderarbeit um über acht Millionen anstieg. Ebenso blieb der prozentuale Anteil der Kinder, die gefährliche Arbeit ausüben, nahezu unverändert, stieg aber in absoluten Zahlen um 6,5 Millionen Kinder an.

Dramatische Lage in der Subsahara Zone  

Kinderarbeit ist regional unterschiedlich verteilt: Während in Asien, Lateinamerika und in der Pazifik-Region Kinderarbeit seit ein paar Jahren rückläufig ist, legt die Kinderarbeit insbesondere in der Subsahara-Zone (unterhalb der Sahara) hingegen wieder zu. Jedes fünfte Kind in Afrika verrichtet Kinderarbeit. Insbesondere in Gegenden, wo bewaffnete Konflikte, Dürren oder heftige Regenfälle der Bevölkerung zu schaffen machen, treibt die tägliche Not die Kinder zur Arbeit. Auch im Nahen Osten haben in Folge der Konflikte in Syrien und Jemen die Zahl der minderjährigen Arbeitskräfte unter den Flüchtlingen in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen.

Vorwiegend im Landwirtschaftssektor

70% der Kinder arbeiten in der Landwirtschaft, zu der die Fischerei, die Forstwirtschaft oder die Viehzucht zählt. Im Dienstleistungssektor sind rund 20% der Kinder beschäftigt, etwa als Dienstboten oder Haushaltshilfen, oder im Sexgewerbe, das zunehmend auch online stattfindet. Im Industriesektor sind 10% der Kinder tätig, einschliesslich im Bergbau. Über zwei Drittel der Kinder arbeiten jedoch im Familienverbund: Sie bestellen entweder das Feld, hüten Tiere oder helfen im familieneigenen Betrieb mit. Oft arbeiten die Kinder zwölf Stunden am Tag oder länger und erhalten für ihre Arbeit grundsätzlich keinen Lohn.

Wege aus der Kinderarbeit

Der beste Schutz vor Kinderarbeit liegt in der Bekämpfung der Armut, denn wachsende Armut führt in aller Regel auch zu mehr Kinderarbeit. Dafür muss die soziale Absicherung für Kinder und Familien gefördert werden. Weltweit sind 1,77 Milliarden Kinder von fehlenden Sozialleistungen betroffen. Soziale Absicherung ist ein universelles Menschenrecht und eine Voraussetzung für eine Welt ohne Armut.

Weiter braucht es bessere Arbeitsbedingungen für die Erwachsenen. Das beinhaltet auch besser Löhne für die Angestellten. Denn nur wer genug verdient, kann seine Familie ernähren und ist nicht darauf angewiesen, dass seine Kinder arbeiten müssen, um das Überleben der Familie zu sichern.

Zudem würde eine konsequente Förderung der Geburtenregistrierung Kinderarbeit vorbeugen. Denn sobald ein Kind überhaupt offiziell existiert, wird die Gefahr, dass es ausgebeutet wird, verkleinert.

Nicht zuletzt müssen mehr Mittel für die Bildung bereitgestellt sowie die Rückkehr aller Kinder zur Schule sichergestellt werden.

Unternehmen in die Pflicht nehmen

Nebst Regierungen, die entsprechende Gesetze gegen Kinderarbeit und zum Schutz der Kinderrechte schaffen und wirksam umsetzen müssen, sind auch Unternehmen in die Pflicht zu nehmen. Denn sie tragen eine grosse gesellschaftliche Verantwortung. UNICEF hat hierfür zusammen mit dem «Global Compact» und «Save the Children» insgesamt zehn Leit-Prinzipien geschaffen, die vorgeben, wie Unternehmen Kinderrechte besser respektieren können. So muss sich ein Unternehmen etwa bewusst machen, dass seine Tätigkeiten weit reichende negative Auswirkungen auf eine breite Anzahl von Kinderrechten haben kann und, dass es entsprechende Gegenmassnahmen ergreifen muss. Darunter fällt etwa, dass ein Unternehmen seinen Mitarbeitenden faire Arbeitsbedingungen gewährleistet oder dass es sicherstellt, dass die Gesundheit aller Mitarbeitenden geschützt ist.