Impfung von 12- bis 15-Jährigen - Wer aber gibt das Einverständnis?

Nicole Hinder
Nicole Hinder

Am 22. Juni 2021 wiesen das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und die Eidgenössische Kommission für Impffragen auf die Impfmöglichkeit für 12- bis 15-jährige Jugendliche hin. Damit ist die Diskussion ums Impfen um eine Dimension erweitert. Neben den Fragen, ob sich Jugendliche impfen lassen sollen und welche gesundheitlichen Risiken damit verbunden sind wird der Aspekt zentral, wer im Falle von jungen Menschen in die Impfung einwilligt.

Covid-19 Vaccination

Urteilsfähigkeit greift zu kurz

Im Schweizer Recht hängt die Möglichkeit, als Kind oder Jugendlicher selber in einen medizinischen Eingriff einwilligen zu können, massgeblich vom Grad der Urteilsfähigkeit ab. Darunter wird eine Art rechtliche Zwischenstufe verstanden, die unmündigen Personen eine milde Form rechtlicher Selbstständigkeit und Selbstbestimmung ermöglicht. Die gesetzliche Definition der Urteilsfähigkeit in Art. 16 ZGB enthält einerseits subjektive Elemente, nämlich die Fähigkeit vernunftgemässen Handelns. Auf der anderen Seite setzt sie das Fehlen psychischer Ursachen, welche die Urteilsfähigkeit beeinträchtigen können, voraus.[1] Die Urteilsfähigkeit orientiert sich also nicht alleine an der allgemeinen Entwicklung der betroffenen Personen und an der zu beurteilenden Handlung, sondern auch an deren geistigen Fähigkeiten.

Die Urteilsfähigkeit hat keine feste Grösse. Sie kann nicht am Lebens- oder Entwicklungsalter festgemacht werden. Denn die für die Urteilsfähigkeit relevanten Fähigkeiten entwickeln sich vom Kleinkindesalter bis zur Volljährigkeit individuell und zu unterschiedlichen Zeitpunkten, teils auch aufeinander aufbauend.[2] Dennoch gibt die Rechtslehre zu diesem Thema Richtwerte vor. Im medizinischen Bereich wird davon ausgegangen, dass die Urteilsfähigkeit im Alter zwischen 10 und 14 Jahren vorhanden ist. Ob sie vorliegt, wird von einer aussenstehenden Person beurteilt. Zudem gilt das Prinzip «Alles-oder-Nichts». Entweder ist eine minderjährige Person urteilsfähig und sie kann vollumfänglich selber entscheiden – oder aber sie ist es nicht und die gesetzlichen Vertreter treffen die Entscheidung.[3] Und hier zeigt sich die Problematik dieses Konzepts. Die Frage, ob ein junger Mensch in die Impfung einwilligen kann oder nicht, auf die Urteilsfähigkeit zu reduzieren greift zu kurz und beschränkt sie auf eine juristische Abwägung. Vielmehr sollten wir uns mit der Frage beschäftigen, wie Kinder und Jugendliche bei diesem Thema generell mitreden und eine Entscheidung fällen können.

Kinderrechtskonvention dient als Grundlage

Zentral ist die Haltung gegenüber Kindern und Jugendlichen und wie wir mit ihnen in einen Dialog um für sie wichtige Themen treten. Mit der Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte des Kindes (Kinderrechtskonvention, KRK) hat sich die Schweiz verpflichtet, Kindern ihre eigenen Rechte zuzugestehen und sie als Rechtssubjekte anzuerkennen. Dies beinhaltet unter anderem, dass das Kind sich seine Meinung frei bilden und diese in allen Angelegenheiten, die es betrifft, frei äussern darf. Seine Meinung wird angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife berücksichtigt. So sieht es Art. 12 KRK vor. Grundsätzlich gilt, dass Eltern oder andere Erziehungsberechtigte dafür zuständig sind, im Sinne des übergeordneten Kindesinteresses (Art. 3 KRK) zu entscheiden. Mit ihrem bestehenden Recht auf Beteiligung müssen Kinder und Jugendliche aber in Entscheidungen einbezogen werden. Das heisst konkret, dass ihre Meinung, ihre Vorschläge, Wünsche, Vorstellungen aber auch Ängste und Unsicherheiten berücksichtigt und respektiert werden. Und nur, wenn wir mit Kindern und Jugendlichen ins Gespräch kommen, können wir das Kindesinteresse in Erfahrung bringen. Das sollte unabhängig davon geschehen, ob sie auch diejenigen sind, die letztlich über die medizinische Massnahme entscheiden, also losgelöst von der Urteilsfähigkeit.

Kindsgerechte Informationen als Fundament der Partizipation

Damit Kinder und Jugendliche eine weitreichende Entscheidung wie das Geimpft-werden treffen können, ist eine umfassende und transparente Information über die Chancen und Risiken notwendig. Durch die kindgerechte Vermittlung eines Themas werden Kinder und Jugendliche erst befähigt, Entscheide zu treffen und im Sinne des Artikel 12 KRK mitzubestimmen. Hierbei ist der kontinuierliche, kindgerechte Dialog zwischen den Erwachsenen sowie Kindern und Jugendlichen unabdingbar. Nur mit Hilfe von umfassenden Informationen und Gesprächen können Kinder und Jugendliche die Tragweite ihrer Entscheidung einschätzen und damit Nutzen aber auch die Gefahren gegeneinander abwägen. Die Verantwortung, den Dialog zu eröffnen, liegt ganz klar bei den Erwachsenen. In einem Gespräch sollen Kinder und Jugendliche für die Thematik sensibilisiert werden und auf ihre Fragen und Gedanken eingegangen werden. Dabei kann es zu verständlichen Spannungen zwischen den Wertvorstellungen des Kindes und den Vorstellungen der Erziehungsberechtigten, den Erwachsenen generell kommen.[4]

Im Zuge des Impfvorstosses des BAG und der Impfkommission ist es folglich zwingend, die Kinder und Jugendlichen ihrem Alter entsprechend über das Thema zu informieren und das Gespräch mit ihnen zu suchen. Dieser Einbezug sollte unabhängig der Urteilsfähigkeit stattfinden, sprich, sowohl bei kleinen Kindern als auch bei älteren, bereits urteilsfähigen. Mit kindgerechter Information und begleitet durch einen offenen Dialog können wichtige medizinische Fragen geklärt und damit die Entscheidungsgrundlage gelegt werden. Nur so können wir sie dabei unterstützen, eine solch weitreichende Fragestellung zu beantworten.

 

UNICEF unterstützt die Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation WHO. Die Strategic Advisory Group of Experts (SAGE) der WHO ist zu dem Schluss gekommen, dass der Impfstoff von Pfizer/BionTech für die Anwendung bei Personen ab 12 Jahren geeignet ist. Kindern zwischen 12 und 15 Jahren, die ein hohes Risiko haben, kann dieser Impfstoff neben anderen vorrangig zu impfenden Gruppen angeboten werden. Impfstoffstudien für Kinder sind im Gange und die WHO wird ihre Empfehlungen aktualisieren, wenn die Beweislage oder die epidemiologische Situation eine Änderung der Politik rechtfertigt. Nach wie vor wird davon ausgegangen, dass Kinder und Jugendliche im Vergleich zu Erwachsenen zu milderen Krankheitsverläufen neigen. Deshalb werden weiterhin mehrheitlich Erwachsene und solche Personen in der Impfstrategie priorisiert, die zu einer Risikogruppe gehören.

Interview mit Dr. Heidi Simoni und Sabine Brunner vom Marie Meierhofer Institut

Können Kinder und Jugendliche überhaupt die Tragweite einer Corona Impfung einschätzen und eine Entscheidung für oder gegen das Impfen treffen?

Können wir Erwachsene denn die Tragweite der Impfung abschätzen? Wir können kurz und allenfalls mittelfristige Risiken und Nutzen der Impfung oder Nichtimpfung für uns persönlich und für die Gesellschaft abwägen. Das können Jugendliche, wenn sie ein Gegenüber für die Abwägung haben, ab dem 12. Lebensjahr bestimmt auch.

Wie müsste Ihrer Meinung nach, Kinder/ Jugendliche für das Thema sensibilisiert werden?

Die Frage der Impfung taucht nicht plötzlich aus dem Nichts auf, nur weil jetzt Impfstoffe auch für Jugendliche zugelassen und es Impfempfehlungen für diese Altersgruppe gibt. Kinder und Jugendliche beschäftigen Themen rund um die Pandemie wie uns auch seit 1 ½ Jahren. Wenn sie auf entsprechenden Fragen Informationen erhalten und in ihren verschiedenen Lebenswelten die Gelegenheit hatten, sich damit auseinanderzusetzen, sind sie nicht unvorbereitet.

Wie geht man in Zusammenhang mit der Partizipation mit unterschiedlichen Meinungen um? Resp. sind Konflikte, wenn Kinder und Eltern konträre Meinungen haben?

Das Risiko und Konfliktpotential konträrer Meinungen zwischen Kindern und Erwachsenen besteht immer, wenn wir Kinder als Subjekte ihres Lebens und als Persönlichkeiten mit eigenen Meinungen anerkennen. Bei der Impfung geht es, wie bei vielen anderen Themen ebenfalls, darum, wenn möglich im Dialog eine gemeinsame Haltung zu finden. Die Antwort auf die Frage, wem bei einer unauflösbar gegensätzlichen Meinung der Stichentscheid zukommt, verschiebt sich in der Alterspanne von 12 bis 18-Jährigen kontinuierlich weg von den Eltern zu den Kindern. Im Falle der Impfung ist meine persönliche Meinung allerdings, dass der Wille des Kindes ein sehr hohes gewichtet haben kann und soll.

Wie kann man als Eltern sein Kind konkret neutral zu einem Impfentscheid hinführen

Als erstes muss das Kind alles Wissenswerte rund um die Krankheit und zum Impfen wissen. Hier geht es darum, wirklich "neutral" Fakten zusammenzutragen. Dazu muss ich als Mutter oder Vater vielleicht auch noch etwas recherchieren. Es macht Sinn, dies gerade gemeinsam mit dem Kind zu tun, denn es geht ja im weiteren darum, das Zusammengetragene zu verstehen, sich ein Bild von der Thematik zu verschaffen und die verschiedenen Positionen, die eingenommen werden, zu verstehen. Im Dialog von Fragen, Nachforschen und Antworten finden, funktioniert dies am besten. Jetzt ist es an der Zeit, auch die eigene Meinung zu erklären. Dabei ist zu betonen, dass Kinder grundsätzlich das Recht haben, eine andere Meinung als ihre Eltern einzunehmen. Es ist wichtig, dies dem Kind wirklich zu vermitteln und ihm allenfalls auch zu helfen, sich mit Personen, die diese andere Meinung vertreten, zu treffen.

Heidi Simoni ist promovierte Psychologin und Psychotherapeutin. Sie leitet seit 2007 das Marie Meierhofer Institut für das Kind in Zürich, welches sich in Forschung und Praxis mit der Umsetzung der Kinderrechte auseinandersetzt.

Sabine Brunner ist Psychologin und am Marie Meierhofer Institut für das Kind in den Bereichen Beratung, Supervision, Gutachten und Fortbildung tätig.