Fussballprojekte in Flüchtlingslagern sind Teil eines psychosozialen Kinderschutzprogramms von UNICEF und Partnerorganisationen. Im Gespräch erzählt die 10-jährigen Soukra Saboun von Fussball und ihrem Leben in einem sudanesischen Flüchtlingslager im Tschad. Jürg Keim, Mediensprecher von UNICEF Schweiz und Liechtenstein war vor Ort und berichtet.
Anfangs Mai 2025 besuchte ich anlässlich der bevorstehenden Sternenwochen ein sudanesisches Flüchtlingslager im Tschad. Vor Ort konnte ich mit der zehnjährigen Soukra Saboun sprechen. Sie lebt mit ihrer Familie seit zwei Jahren in einem von zwei Flüchtlingslagern in Farchana, knapp fünfzig Kilometer von der sudanesischen Grenze entfernt. Soukra ist eines von 24 Mädchen, das im Camp jeden Donnerstagnachmittag Fussball spielt.
«Ich trainiere gern, weil ich dabei meinen Körper beanspruche», erzählt mir Soukra. «Beim Fussballspielen vergesse ich, dass ich nicht mehr zuhause lebe. Fussball hilft mir, nicht immer traurig zu sein. Und wenn ich spiele, denke ich daran, dass es auch wieder schöne Dinge geben kann.» Besonders gefällt Soukra, dass sie beim Training rennen, schreien und lachen kann.
Sie hat keine Angst vor dem Kontakt mit den anderen Spielerinnen. «Ich bin ein starkes Mädchen», sagt sie mit fester Stimme. Zu ihrer Fussballmannschaft kam sie, weil ihr Schuldirektor die Idee hatte, ein Mädchenteam zu gründen. Tatsächlich werden in Flüchtlingslagern wie jenem im Tschad Fussballprojekte häufig als Teil psychosozialer Unterstützung angeboten. Das Spielen wird als wichtiges Mittel gesehen, um den Mädchen Selbstbewusstsein, Teamgeist und ein Stück Kindheit zurückzugeben.
Auf dem Spielfeld erleben die Kinder einen geschützten Ort, in dem sie unbeschwert sein können – frei von den Sorgen und Ängsten, die ihr Leben seit der Flucht prägen. Hier dürfen sie einfach Kind sein, sich ausprobieren. Gleichzeitig stärkt Fussball ihr Selbstvertrauen. Das macht sie nicht nur stolz, sondern lässt sie auch Energie tanken. Für viele Mädchen wird das Team zur neuen Familie. Sie spüren, dass sie nicht allein sind, sondern sich gegenseitig helfen und gemeinsam Ziele erreichen können. Dieser Teamgeist ist heilsam, denn er schafft ein Gefühl von Zugehörigkeit und Zusammenhalt.
Das Fussballfeld wird so zu einem Raum, an dem die Mädchen wieder Erfolg erleben und Freude finden – und ein Stück Kindheit zurückgewinnen. Gleichzeitig ist es oft der erste Schritt in Richtung neue Perspektiven. So sind diese Fussballprojekte Teil eines umfassenden Kinderschutzprogramms, die von UNICEF und einer Partnerorganisation eingerichtet wurden. Die Schaffung von sogenannten kinderfreundlichen Räumen bieten Kindern unter achtzehn Jahren einen sicheren Ort, um zu spielen, zu lernen, zu basteln und psychosoziale Unterstützung zu erhalten. Zu den sportlichen Aktivitäten gehören Fussball, Volleyball oder Karate, die den Kindern mitunter helfen, Stress abzubauen und ein Gefühl der Normalität wiederzuerlangen. Diese Programme sind insbesondere wichtig für Mädchen, da sie ihnen ermöglichen, Selbstbewusstsein und soziale Bindungen zu stärken. Ausserdem lernen die Mädchen spielerisch, Konflikte friedlich zu lösen und ihre Stimme zu erheben, wenn sie Hilfe brauchen. In einem Umfeld, das von Verlusten, Unsicherheiten und Gewalt geprägt ist, ist Fussball für diese Mädchen ein Symbol für Stärke und Hoffnung.
Für Soukra und viele andere sind Fussball sowie andere Aktivitäten weit mehr als ein Hobby. Sie sind Mittel zur Förderung der Resilienz, die ihnen dabei hilft, ihr Leben wieder aufzubauen und von einer besseren Zukunft zu träumen. «Wir sind zwei Teams, insgesamt 24 Mädchen. Ich spiele in der zweiten Verteidigung.» Verteidigerin zu sein, bedeutet für sie, das Tor zu beschützen. «Ich fühle mich mutig, wenn ich spiele. Ich darf rufen und zeigen, was ich kann. Ich habe gelernt, dass ich wichtig bin», erzählt die 10-Jährige. «Wir feuern uns gegenseitig an und tauschen uns darüber aus, wie wir untereinander respektvoll miteinander umgehen. Wir spielen und lachen zusammen. Aber wir trösten uns auch, wenn jemand traurig ist. Das ist schön, weil wir eine Familie sind.»
Ich erkundigte mich bei Soukra, ob sie manchmal auch über ihre Vergangenheit spricht. «Ja», sagt Soukra und spricht plötzlich leiser. «Wir sind damals mit dem Auto meines Onkels in den Tschad geflohen. Ich wohnte in al-Dschunaina, einer Stadt im Staat Darfur, nur eine Stunde von Adre, an der Grenze zum Tschad gelegen, entfernt. Mein Onkel hat uns alle in Sicherheit gebracht, weil es plötzlich gefährlich wurde und Soldaten in die Stadt kamen. In Adre waren wir ein paar Wochen, dann wurden wir hierher ins Camp gebracht.»
Im neuen Camp in Farchana fühlt sich Soukra wohler. «Es gibt eine Schule, Bargeldhilfen, um das Nötigste zu kaufen, und auch Wasser. Das ist viel besser als in Adre, wo es sehr laut war, viele Menschen lebten und wir kaum genug Platz hatte. Aber auch hier haben wir nicht genug. Das Essen und das Wasser reichen meist nicht für alle.»
Sie denkt oft an die Zeit vor dem Krieg zurück. Damals hatten sie alles, was es für ein glückliches Leben braucht: Ein Haus, genug zu essen, ihre Eltern waren Bauern und haben ihre Ernte auf dem Markt verkauft. Am meisten vermisst sie, mit ihren Freunden vor dem Haus zu spielen, aber zum Glück ist ihre beste Freundin aus der Schule auch im Camp. «Ich verbringe viel Zeit mit ihr. Doch ich möchte gerne zurück, wenn der Krieg vorbei ist. Ich möchte mein altes Leben zurück,» sagt Soukra zum Schluss des Gesprächs.
Bislang war Fussball für mich einfach ein Sport. Doch Kinder wie Soukra haben mir gezeigt, dass er viel mehr sein kann – ein Ort, an dem Kinder ihre Resilienz stärken und neue Kraft schöpfen.