Tödliche Mittelmeerroute: Zahl der unbegleiteten Minderjährigen steigt um 60 Prozent

Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die bei dem Versuch, das zentrale Mittelmeer von Nordafrika nach Europa zu überqueren, gestorben sind oder vermisst werden, hat sich diesen Sommer im Vergleich zum Vorjahressommer verdreifacht.

Am 26. September 2023 sitzen unbegleitete jugendliche Migranten im "Hotspot"-Aufnahmezentrum auf der Insel Lampedusa, Italien, zusammen und lesen Informationsbroschüren.

Die italienische Insel Lampedusa ist der erste Anlaufpunkt für viele Menschen auf der Suche nach Asyl, Sicherheit und besseren Zukunftschancen in Europa. Die Zahl der Ankommenden erreichte in diesem Monat mit 4800 Menschen an einem einzigen Tag einen Höhepunkt.

Unbegleitete Kinder fahren häufig in überfüllten Schlauchbooten oder maroden Holzbooten mit, die für schlechtes Wetter untauglich sind. Manche Kinder werden im Laderaum untergebracht, andere auf Lastkähnen, die besonders schwer zu navigieren sind. Der Mangel an koordinierten und adäquaten Such- und Rettungskapazitäten in der Region sowie die unzureichende Zusammenarbeit bei der Ausschiffung der Menschen erhöhen die Gefahren, denen Kinder und Jugendliche bei der Überfahrt ausgesetzt sind.

Kriege, Konflikte, Gewalt und Armut gehören zu den Hauptursachen, weswegen Kinder und Jugendliche allein ihre Heimatländer verlassen. Unbegleitete Kinder und Jugendliche sind nachweislich auf jeder Etappe ihrer Reise den Gefahren von Missbrauch und Ausbeutung ausgesetzt. Mädchen und Kinder aus Subsahara-Afrika sind besonders gefährdet. 

Mehr als 11 600 Kinder und Jugendliche sind zwischen Januar und Mitte September 2023 ohne ihre Eltern oder andere sorgeberechtigte Personen über das zentrale Mittelmeer nach Italien gelangt. Die Zahl hat sich damit im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 60 Prozent erhöht. Zwischen Januar und Mitte September 2022 nahmen rund 7200 unbegleitete oder von ihren Eltern getrennte Kinder und Jugendliche die gefährliche Überfahrt auf sich. 

Zwischen Juni und August 2023 sind mindestens 990 Menschen bei dem Versuch, das zentrale Mittelmeer zu überqueren, gestorben oder gelten als vermisst, darunter auch Kinder. Diese Zahl hat sich gegenüber dem Vorjahreszeitraum verdreifacht. Im Sommer 2022 kamen mindestens 334 Menschen ums Leben. Bei vielen Schiffsunglücken gibt es keine Überlebenden oder sie werden nicht erfasst. Die tatsächliche Zahl der ums Leben gekommenen Menschen ist daher wahrscheinlich deutlich höher.

Kinder und Jugendliche, die es nach Europa schaffen, werden zunächst an sogenannte Hotspots und von dort in Aufnahmeeinrichtungen gebracht. Dabei handelt es sich häufig um geschlossene Unterbringungen. In Italien befinden sich derzeit mehr als 21 700 unbegleitete Kinder und Jugendliche in diesen Einrichtungen; vor einem Jahr waren es 17 700.

«Das Mittelmeer ist zu einem Friedhof für Kinder und ihre Zukunft geworden. Die verheerenden Folgen für Kinder, die in Europa Asyl und Sicherheit suchen, ist das Ergebnis politischer Entscheidungen und eines nicht funktionierenden Migrationssystems», sagte Regina De Dominicis, UNICEF-Regionaldirektorin für Europa und Zentralasien. «Es braucht jetzt dringend eine europaweite Lösung, um diese Kinder und Familien zu unterstützen. Und es bedarf einer nachhaltigen Aufstockung der internationalen Hilfe zur Unterstützung von Ländern, die mit multiplen Krisen konfrontiert sind, um zu verhindern, dass noch mehr Kinder Leid erfahren.»

Im Einklang mit den Verpflichtungen aus dem Völkerrecht und der UN-Kinderrechtskonvention ruft UNICEF Regierungen dazu auf, sichere und geregelte Wege der Flucht und Migration zu schaffen und dafür zu sorgen, dass Kinder nicht in geschlossenen Einrichtungen festgehalten werden. Um Kindern auf der Flucht gezielter zu helfen und sie zu schützen, müssen nationale Kinderschutzsysteme gestärkt, die Koordination von Such- und Rettungseinsätzen verbessert und eine zeitnahe Ausschiffung an sicheren Orten sichergestellt werden.

Die derzeitige Debatte zwischen dem Europäischen Parlament und den EU-Mitgliedstaaten zur Migrations- und Asylpolitik bietet eine Gelegenheit, die wichtigsten Grundsätze des Kinderschutzes zu bekräftigen und aufrechtzuerhalten sowie politische Massnahmen zu entwickeln, die die zahlreichen Verstösse gegen die Kinderrechte in Herkunfts-, Transit- und Ankunftsländern adressieren.

UNICEF unterstützt Staaten dabei, Kinderschutzsysteme und die Basisversorgung für Kinder in den Herkunftsländern zu stärken, und die Gefahren, denen Kinder auf risikoreichen Routen ausgesetzt sind, zu verhindern und zu mindern. Das Ziel ist, allen Kindern, unabhängig von ihrem Rechtsstatus oder dem ihrer Eltern, Zugang zu Hilfe und Basisversorgung zu ermöglichen.

Auf Lampedusa unterstützt UNICEF Kinder mit psychologischen und psychosozialen Angeboten, stellt wichtige Informationen bereit und vermittelt Kinder und Familien bei Bedarf an spezialisierte Kinderschutz-Einrichtungen. Diese Arbeit wird von der Generaldirektion für Migration und Inneres (HOME) der Europäischen Kommission im Rahmen des Projekts PROTECT unterstützt.