100 Tage nach den Erdbeben an der syrisch-türkischen Grenzregion

Einhundert Tage nach den tödlichsten Erdbeben in der jüngeren Geschichte der Türkei und Syriens kämpfen Millionen von Kindern und Familien weiter darum, ihr Leben wieder aufzubauen. 2,5 Millionen Kinder in der Türkei und 3,7 Millionen in Syrien benötigen laut UNICEF weiterhin humanitäre Hilfe.

Ein kleines Mädchen hält sein Spielzeug in einer Notunterkunft in Hatay, Türkei, nach zwei verheerenden Erdbeben Anfang Februar 2023.

«Nach den Erdbeben haben die Kinder in beiden Ländern unvorstellbare Verluste und Trauer erlebt», sagte UNICEF-Exekutivdirektorin Catherine Russell. «Die Naturkatastrophe traf Regionen, in denen viele Familien bereits besonders verletzlich waren. Die Kinder haben Angehörige und geliebte Menschen verloren, ihre Häuser, Schulen und Gemeinden wurden verwüstet und ihr ganzes Leben wurde auf den Kopf gestellt.»

Türkei: Kinder im Erdbebengebiet leiden unter Armut
In den betroffenen Regionen der Türkei war die Kinderarmut bereits vor der Naturkatastrophe hoch - etwa 40 Prozent der Haushalte lebten unterhalb der Armutsgrenze. Schätzungen zufolge könnte diese Zahl ohne nachhaltige lokale und internationale Unterstützung auf über 50 Prozent ansteigen.
Gegenwärtig sind Kinder in den stark betroffenen Gebieten gefährdet, Gewalt, Zwangsverheiratung oder Zwangsarbeit zu erfahren oder die Schule abzubrechen. Der Schulbesuch von fast vier Millionen Kindern wurde durch die Erdbebenkatastrophe unterbrochen, darunter mehr als 350 000 Kinder aus geflüchteten oder migrierten Familien. Zwar hat die Türkei in den letzten Jahren Fortschritte gemacht, diesen Risiken entgegenzuwirken. Doch die Auswirkungen der Erdbeben könnten die Bemühungen nun wieder zunichtemachen.

Syrien: Gefahr durch Krankheiten und Hunger
Im Nordwesten Syriens haben die massiven Erdbeben die Not der Familien, die unter den Zerstörungen von zwölf Jahren Bürgerkrieg leiden, nochmals verschärft. Die Naturkatastrophe hat weitere Schäden an Schulen, Gesundheitseinrichtungen und anderen wichtigen Infrastrukturen angerichtet. Weil die Wasser- und Abwasserinfrastruktur teilweise zerstört wurde, sind 6,5 Millionen Menschen einem erhöhten Risiko durch Cholera und anderen durch Wasser übertragbare Krankheiten ausgesetzt.
Schätzungsweise 51 000 Kinder unter fünf Jahren leiden an akuter Mangelernährung, und 76 000 schwangere und stillende Frauen müssen wegen akuter Mangelernährung behandelt werden.

Für rund 1,9 Millionen Kinder kam es zu Unterbrechungen des Schulunterrichts. Viele Schulen werden immer noch als Notunterkünfte genutzt. 100 Tage nach der Katastrophe leben viele Familien immer noch in unglaublich schwierigen Situationen und in grosser Ungewissheit, wo sie die nächsten Wochen und Monate leben werden.
UNICEF: Kinder in den Mittelpunkt des Wiederaufbaus nach den Erdbeben stellen

«Der Weg zurück zur Normalität ist lang, und die Familien werden unsere kontinuierliche Unterstützung benötigen», sagte Russell. «Die langfristigen Auswirkungen der Katastrophe, einschliesslich der steigenden Lebensmittel- und Energiepreise in Verbindung mit dem Verlust der Lebensgrundlage und des Zugangs zu wichtigen Dienstleistungen, werden Hunderttausende von Kindern noch tiefer in die Armut treiben. Wenn diesen Kindern und Familien im Rahmen des Wiederaufbauplans nicht vorrangig finanzielle Unterstützung und grundlegende Dienstleistungen zur Verfügung gestellt werden, werden die Kinder weiterhin einem grösseren Risiko von Ausbeutung und Missbrauch ausgesetzt sein.»

UNICEF appelliert an die internationale Gemeinschaft, bei den Wiederaufbaumassnahmen den Bedürfnissen der Kinder Priorität einzuräumen. Ein Schwerpunkt muss dabei sein, wichtige Infrastruktur und Systeme widerstandsfähiger und integrativer wiederaufzubauen, um die am stärksten benachteiligten Kinder zu erreichen.
UNICEF hat seit den Erdbeben alles darangesetzt, die lebensrettende Soforthilfe für die betroffenen Gemeinden auszuweiten, die Schäden zu erfassen sowie den Wiederaufbau der beschädigten Infrastruktur und die Wiederherstellung der Grundversorgung anzuschieben. Es ist jedoch dringend weitere Unterstützung erforderlich, um die Krise zu bewältigen.

  • Um die Rechte der Kinder zu schützen und weitere Entbehrungen zu verhindern, werden Investitionen in finanzielle Unterstützung für Familien, Zugang zu hochwertiger Bildung und psychosoziale Hilfe benötigt.
  • Die kontinuierliche Finanzierung von Gesundheits-, Ernährungs-, Wasser-, Sanitär- und Hygieneprogrammen ist von entscheidender Bedeutung für die Gesundheit und das Wohlergehen der Kinder und um die Ausbrüche von Krankheiten zu verhindern.

Um den Hilfsbedarf von fast drei Millionen erdbebengeschädigten Kindern in Syrien zu decken, bittet UNICEF um 172,7 Millionen US-Dollar für die Umsetzung seines Soforthilfeplans nach der Naturkatastrophe. Bislang sind 78,1 Millionen US-Dollar eingegangen, wobei die Bereiche Ernährung, Gesundheit und Bildung weiterhin deutlich unterfinanziert sind. In der Türkei benötigt UNICEF für die Wiederaufbauhilfe für Kinder 196 Millionen US-Dollar, wovon bislang gut die Hälfte bereitstehen.