«Kinder sind die ersten, die leiden»

Anmerkungen des stellvertretenden UNICEF-Exekutivdirektors Ted Chaiban beim Briefing des UN-Sicherheitsrats zum Thema Kinder und bewaffnete Konflikte.

Kind zeigt Handy in Kamera.
Die 6-jährige Fatima aus Khartum zeigt ein Foto ihrer Familie, bevor sie vor dem Kriegsausbruch im Sudan flüchten mussten. Fatima hat die harte Realität der Vertreibung erlebt, sie vermisst ihr vertrautes Zuhause schwer. «Mein Zimmer war wunderschön. Das neue Haus ist vollgestopft mit Holzpaletten und ohne Privatsphäre.»

«Mit der Zunahme von Konflikten auf der ganzen Welt kommt es immer wieder zu schweren Verstössen gegen Kinder. Die Verweigerung des Zugangs zu humanitärer Hilfe ist eine besonders weit verbreitete, vielschichtige und komplexe schwere Verletzung. Sie kann bedeuten, dass Parteien den Zugang willkürlich einschränken – unter anderem durch die Aussetzung grundlegender Dienstleistungen, die Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Zivilisten, um Hilfe und Schutz zu erhalten, sowie durch bürokratische und administrative Hindernisse. Es kann auch bedeuten, dass Einrichtungen, die lebenserhaltende Dienste bereitstellen (z. B. Wasser- und Sanitäranlagen) angegriffen werden, dass humanitäres und medizinisches Personal attackiert wird und dass Belagerungstaktiken angewandt werden. Diese Aktionen haben verheerende Folgen für die Kinder.

Ich besuchte den Gazastreifen im Januar zum zweiten Mal seit Oktober 2023 und wurde Zeuge einer erschütternden Verschlechterung der Lage der Kinder. Die weit verbreitete Zerstörung der logistischen Infrastruktur, die Quasi-Blockade des nördlichen Gazastreifens, die wiederholte Verweigerung oder Verzögerung des Zugangs für humanitäre Konvois, die Treibstoffknappheit und die Strom- und Telekommunikationsausfälle haben sich drastisch auf das Leben der Kinder ausgewirkt. Angriffe auf Mitarbeitende humanitärer Organisationen haben ebenfalls den Zugang zu diversen Hilfeleistungen schwer beeinträchtigt. Alleine diese Woche gab es neue teils tödliche Angriffe auf unser Kollegium von World Central Kitchen, die versuchen, hungernde Menschen zu versorgen.

Infolge der Einschränkungen haben die Kinder keinen Zugang zu altersgerechten Nahrungsmitteln oder medizinischer Versorgung und verfügen über weniger als zwei bis drei Liter Wasser pro Tag. Die Folgen sind eindeutig. Im März berichteten wir, dass eines von drei Kindern unter zwei Jahren im nördlichen Gazastreifen an akuter Mangelernährung leidet – eine Zahl, die sich in den letzten zwei Monaten mehr als verdoppelt hat. Berichten zufolge sind in den letzten Wochen Dutzende von Kindern im nördlichen Gazastreifen an Mangelernährung und Dehydrierung gestorben; die Hälfte der Bevölkerung leidet unter einer katastrophaler Ernährungsunsicherheit.

Im Sudan – wo die weltweit schlimmste Vertreibungskrise für Kinder herrscht – haben die Gewalt und die Einschränkungen des Zugangs zu humanitäre Hilfslieferungen das Leiden der Kinder erheblich verstärkt. Wir verzeichnen eine Rekordzahl von Einweisungen zur Behandlung schwerer akuter Mangelernährung – der tödlichsten Form der Mangelernährung. Angst und Unsicherheit hindert sowohl Patienten als auch medizinisches Personal daran, Krankenhäuser und andere Gesundheitseinrichtungen aufzusuchen. Das Gesundheitssystem ist nach wie vor überlastet. Aufgrund der schwerwiegenden Unterbrechung des Versorgungsmanagementsystems kommt zu einem gravierenden Mangel an Medikamenten und Hilfsgütern, einschliesslich lebensrettender Artikel. Noch schlimmer ist, dass wir nicht in der Lage sind, kontinuierlich Zugang zu gefährdeten Kindern zu erhalten.

In Myanmar haben die Verschärfung des Konflikts und die erhebliche Zunahme der Zugangsbeschränkungen für humanitäre Hilfe wichtige Hilfslieferungen behindert und UNICEF-Partner mussten geplante lebensrettende Massnahmen verlagern oder verschieben, um die Sicherheit der Mitarbeitenden in einigen Gebieten zu gewährleisten.

Da das Land auf den Höhepunkt seiner Trockenzeit zusteuert, ist der Zugang zu sauberem Wasser eine grosse Herausforderung für die ohnehin schon angeschlagene Bevölkerung – darunter sechs Millionen Kinder – die lebensrettende Hilfe benötigen und von denen viele in schwer zugänglichen Gebieten leben.

Seit der Einrichtung eines «Mechanismus zur Überwachung der Rechte» haben die Vereinten Nationen fast 23 000 Fälle von Verweigerung des Zugangs zu humanitärer Hilfe verifiziert. Davon fast 15 000 in den letzten fünf Jahren und 3931 im letzten Bericht des Generalsekretärs, eine hartnäckig hohe Zahl. Der fehlende Zugang zu humanitären Diensten führt zu einer grösseren Verwundbarkeit und verschärft andere Kinderrechtsverletzungen. Kinder sind die ersten, die leiden und auch diejenigen, die am längsten leiden werden.

Überall auf der Welt arbeiten unsere Teams vor Ort unter immer schwierigeren Bedingungen, um Kindern Zugang zu Hilfsleistungen zu verschaffen. UNICEF arbeitet zunehmend mit Fachpersonal, um humanitären Zugang weltweit zu erhöhen und um Kinder in abgelegenen Krisengebieten besser erreichen zu können. Wir verpflichten uns, mit allen Parteien zu verhandeln und für das Wohl und die Rechte aller Kinder einzustehen.

Unsere Fähigkeit, den notwendigen humanitärem Zugang zu Hilfsmitteln und Dienstleistungen aufrechtzuerhalten, kann durch die Arbeit des Sicherheitsrates erheblich verbessert werden.

Erstens fordern wir Sie im Sinne der Resolution 2664 des UN-Sicherheitsrats auf, die Ausnahmeregelungen zum Schutz des humanitären Zugangs zu stärken. Humanitäre Organisationen müssen in der Lage sein, mit allen bewaffneten Gruppen in Kontakt zu treten, um den humanitären Zugang zu den betroffenen Bevölkerungsgruppen zu gewährleisten, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.

Zweitens fordern wir Sie auf, Ihren Einfluss geltend zu machen, um Staaten und nichtstaatliche bewaffnete Akteure dazu zu drängen, eine Verweigerung des humanitären Zugangs für Kindern zu verhindern und zu beenden. Dadurch sollen humanitäre Akteure geschützt werden und den humanitären Organisationen ermöglicht werden, die Bedürftigsten über die Frontlinien und Grenzen hinweg sicher und rechtzeitig zu erreichen.

Drittens zählen wir darauf, dass Sie die Bemühungen der Vereinten Nationen zur Umsetzung der CAAC-Überwachung und -Lobbyarbeit vor Ort unterstützen – sowohl durch die Bereitstellung von Ressourcen als auch durch Ihre Zusage, mit uns zusammenzuarbeiten, um den humanitären Zugang zu Kindern zu schützen, egal wo sie sich befinden.»