Flaschenmilch statt Stillen: Aggressive Werbung für Milchpulver beenden

Ein neuer Bericht von UNICEF und WHO dokumentiert Praktiken der Nahrungsmittelindustrie, die die Ernährung von Kindern gefährden und gegen internationale Verpflichtungen verstossen.

Mehr als die Hälfte der Eltern und schwangeren Frauen (51 Prozent), die für einen neuen WHO/UNICEF-Bericht befragt wurden geben an, dass sie mit Marketingmassnahmen von Herstellern von Säuglingsnahrung konfrontiert worden seien, die in weiten Teilen gegen internationale Standards für Säuglingsernährung verstossen. 

Der Bericht «How marketing of formula milk influences our decisions on infant feeding» stützt sich auf Interviews mit Eltern, schwangeren Frauen und Gesundheitsfachkräften in acht Ländern. Er dokumentiert systematische und unethische Marketingstrategien, mit denen die Hersteller von Muttermilchersatzprodukten die Entscheidungen der Eltern bei der Ernährung von Säuglingen zu beeinflussen suchen.

Solche Marketingmassnahmen umfassen unregulierte, invasive Online-Werbung, gesponserte und somit nicht unabhängige Beratungsnetzwerke bzw. Helplines sowie kostenlose Geschenke. Verbreitet ist auch die gezielte Beeinflussung der Ausbildung von beziehungsweise der Entwicklung von Empfehlungen für das Gesundheitspersonal.

Die Botschaften an Eltern und Gesundheitspersonal sind dabei oftmals irreführend sowie wissenschaftlich nicht fundiert und verstossen gegen den Internationalen Kodex für die Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten. Dieser Kodex ist ein bahnbrechendes Abkommen im Bereich der öffentlichen Gesundheit, das 1981 von der Weltgesundheitsversammlung verabschiedet wurde, um Mütter vor aggressiven Marketingpraktiken der Babynahrungsindustrie zu schützen.

Irreführende und aggressive Werbung allgegenwärtig

«Dieser Bericht zeigt sehr deutlich, dass die Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten nach wie vor auf inakzeptable Weise allgegenwärtig, irreführend und aggressiv ist», sagte Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der WHO. «Um die Gesundheit der Kinder zu schützen, müssen dringend Vorschriften gegen dieses ‚exploitative Marketing‘* erlassen und durchgesetzt werden.»

Laut dem Bericht, für den 8 500 Eltern und schwangere Frauen sowie 300 Gesundheitsfachkräfte in Städten in Bangladesch, China, Mexiko, Marokko, Nigeria, Südafrika, dem Vereinigten Königreich und Vietnam befragt wurden, sind 84 Prozent aller befragten Frauen im Vereinigten Königreich, 92 Prozent der befragten Frauen in Vietnam und 97 Prozent der befragten Frauen in China Werbung für Muttermilchersatzprodukte ausgesetzt. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich für diese Methode der Ernährung ihres Babys entscheiden statt zu stillen.

«Falsche und irreführende Botschaften über künstliche Säuglingsnahrung sind ein wesentliches Hindernis für das Stillen, von dem wir wissen, dass es das Beste für Babys und Mütter ist», sagte UNICEF-Exekutivdirektorin Catherine Russell. «Wir brauchen eine solide Politik, Gesetzgebung und Investitionen in das Stillen um sicherzustellen, dass Frauen vor unethischen Marketingpraktiken geschützt sind - und Zugang zu den Informationen und der Unterstützung haben, die sie für die Versorgung ihrer Familien brauchen.»

In allen untersuchten Ländern äusserten die befragten Frauen den starken Wunsch, ausschliesslich zu stillen, wobei die Spanne von 49 Prozent der Frauen in Marokko bis zu 98 Prozent in Bangladesch reicht. Der Bericht zeigt jedoch detailliert auf, wie ein anhaltender Strom irreführender Werbebotschaften Mythen über das Stillen und die Muttermilch stärkt und das Vertrauen der Frauen in ihre Fähigkeit, erfolgreich zu stillen, untergräbt. Zu diesen Mythen gehören eine angebliche Notwendigkeit von künstlicher Säuglingsnahrung in den ersten Tagen nach der Geburt, die Unzulänglichkeit von Muttermilch für die Ernährung von Säuglingen, die Behauptung, dass bestimmte Inhaltsstoffe von künstlicher Säuglingsnahrung nachweislich die Entwicklung oder die Immunität des Kindes verbessere oder dass Säuglinge länger satt blieben, und dass die Qualität der Muttermilch mit der Zeit abnehme.

Frau stillt Baby in Malawi
Stillen bietet einen wirksamen Schutz gegen Krankheiten, Mangel- und Fehlernährung.

Stillen: Wirksamer Schutz gegen Krankheiten, Mangel- und Fehlernährung

Das Stillen innerhalb der ersten Stunde nach der Geburt, gefolgt von einer Ernährung ausschliesslich durch Muttermilch in den ersten sechs Monaten und ergänzendem Stillen bis zu zwei Jahren oder darüber hinaus, bieten einen wirksamen Schutz gegen alle Formen der Mangel- und Fehlernährung von Kindern, einschliesslich Auszehrung und Fettleibigkeit. Stillen ist auch die erste «Impfung» für Babys und schützt sie vor vielen häufigen Kinderkrankheiten. Ausserdem verringert es das zukünftige Risiko von Frauen für Diabetes, Fettleibigkeit und einige Krebsarten. Dennoch werden weltweit nur 44 Prozent der Babys unter sechs Monaten ausschliesslich gestillt. Die Stillraten sind in den letzten zwei Jahrzehnten weltweit nur geringfügig gestiegen, während sich der Absatz von Säuglingsnahrung in etwa der gleichen Zeit mehr als verdoppelt hat.

Als alarmierend bezeichnet der Bericht, dass eine grosse Zahl von Gesundheitsfachkräften in allen Ländern von der Säuglingsnahrungsindustrie angesprochen wurde, um ihre Empfehlungen an junge Mütter zu beeinflussen - durch Werbegeschenke, kostenlose Proben, Forschungsgelder, bezahlte Treffen, Veranstaltungen und Konferenzen und sogar Provisionen aus dem Verkauf. Dies wirkt sich direkt auf die Ernährungsentscheidungen der Eltern aus. Mehr als ein Drittel der befragten Frauen gab an, dass eine Gesundheitsfachkraft ihnen eine bestimmte Marke empfohlen habe.

Internationalen Kodex von UNICEF und WHO umsetzen

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, fordern WHO, UNICEF und ihre Partner Regierungen, Gesundheitspersonal und die Babynahrungsindustrie auf, diese aggressive und unethische Vermarktung von Säuglingsnahrung zu beenden und die Anforderungen des Kodex vollständig umzusetzen und einzuhalten. 

Dies beinhaltet: 

  • Verabschiedung, Überwachung und Durchsetzung von Gesetzen zum Verhindern von Werbung für Milchpulver, die dem Internationalen Kodex zuwiderläuft, einschliesslich des Verbots von nährwert- und gesundheitsbezogenen Behauptungen der Säuglingsnahrungsindustrie.
     
  • Investitionen in Massnahmen und Programme zur Unterstützung des Stillens, einschliesslich einer angemessenen bezahlten Elternzeit gemäss internationaler Standards und Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen Stillunterstützung.
     
  • Aufforderung an die Industrie, sich öffentlich und weltweit zur vollständigen Einhaltung des Kodex und der nachfolgenden Resolutionen der Weltgesundheitsversammlung zu verpflichten.
     
  • Verbot für Mitarbeiter des Gesundheitswesens, Sponsoring von Unternehmen, die Nahrungsmittel für Säuglinge und Kleinkinder vermarkten, für Stipendien, Auszeichnungen, Zuschüsse, Tagungen oder Veranstaltungen anzunehmen.


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