Erdbeben in syrisch-türkischer Grenzregion: Ein Jahr danach

Ein Jahr nach den tödlichsten Erdbeben in der jüngeren Geschichte der Türkei und Syriens sind die Auswirkungen der Katastrophe für Kinder und ihre Familien noch immer deutlich präsent.

Drei Mädchen halten sich in einer Notunterkunft in der Türkei an den Händen.

Bei den beiden ersten verheerenden Erdbeben am 6. Februar 2023 – auf die unzählige Nachbeben folgten - wurden Tausende Kinder in den beiden Ländern getötet oder verletzt. Gesamte Familien verloren ihr Zuhause und hatten keinen Zugang zu lebenswichtigen Dienstleistungen wie sauberem Trinkwasser, Bildung oder medizinischer Versorgung. Die Schutzrisiken für gefährdete und vulnerable Kinder stiegen deutlich an. Zwar konnten diverse humanitäre Hilfsmassnahmen in der Erdbebenregion zu einer Verbesserung der Situation vor Ort beitragen, aber dennoch gefährden anhaltende Konflikt- und Krisenzyklen besonders in Syrien weiterhin das Leben und Wohlergehen der Kinder.

«Die Erdbeben in der Türkei und Syrien vor einem Jahr haben das Leben von Millionen von Kindern von einer Minute auf die andere auf den Kopf gestellt. Tausende von Menschen kamen ums Leben, Häuser, Schulen und Gesundheitszentren wurden zerstört, und mit ihnen das Gefühl der Sicherheit für viele Kinder», sagte UNICEF-Exekutivdirektorin Catherine Russell, die beide Länder nur wenige Wochen nach den ersten Erdbeben besuchte. «Die Unterstützung der Regierungen und die humanitären Bemühungen haben den Familien geholfen, ihr Leben langsam wieder in den Griff zu bekommen, und den Kindern die Möglichkeit gegeben, ihre Erlebnisse zu verarbeiten. Aber viel zu viele Familien, vor allem in Nordsyrien, sind weiterhin von einer humanitären Krise betroffen, deren Ende nicht abzusehen ist.»

In Syrien haben fast 13 Jahre Kampfhandlungen, Zerstörung und anhaltende humanitäre Krisen dazu geführt, dass sich Kinder inmitten einer der komplexesten Notsituationen der Welt befinden. Knapp 7,5 Millionen Kinder benötigen aufgrund einer sich verschärfenden Wirtschaftskrise, anhaltender lokaler Kampfhandlungen, Massenvertreibungen und einer bröckelnden öffentlichen Infrastruktur dringend Hilfe. Viele grundlegende Dienstleistungen stehen kurz vor dem Zusammenbruch. Rund 90 % der Familien im Land leben in Armut, und mehr als 50 % sind von Ernährungsunsicherheit betroffen. Die anhaltende Wirtschaftskrise betrifft insbesondere Haushalte mit weiblichem Haushaltsvorstand, während sie gleichzeitig zur Normalisierung von geschlechtsspezifischer Gewalt und Kinderausbeutung beiträgt.

In der Türkei wurde durch die Erdbeben die Bildung für mehr als vier Millionen Kinder unterbrochen. UNICEF unterstützte fast eine Million der betroffenen Kinder und ermöglichte ihnen den Zugang zu formaler und nicht-formaler Bildung.  Obwohl grosse Anstrengungen unternommen wurden, um den Bildungszugang zu verbessern, besuchen viele Kinder in den betroffenen Gebieten in der Türkei nach wie vor nicht die Schule.

UNICEF hat mit staatlichen und zivilgesellschaftlichen Partnerinnen und Partnern zusammengearbeitet, um die unmittelbaren und langfristigen Bedürfnisse von 4,7 Millionen Menschen – darunter 2,4 Millionen Kinder – zu befriedigen. Unter anderem wurden mehr als 1,5 Millionen Kinder und Betreuer psychologisch und psychosozial betreut und mehr als drei Millionen Menschen mit sauberem Wasser versorgt.

UNICEF in der Türkei bittet um 116 Millionen US-Dollar, um die Arbeit zur Unterstützung der von den Erdbeben betroffenen Kinder fortzusetzen und eine widerstandsfähige Grundlage für eine längerfristige Entwicklung zu schaffen. In Syrien benötigt UNICEF im Rahmen seines Aufrufs für 2024 401,7 Millionen US-Dollar, um 8,5 Millionen Menschen – darunter 5,4 Millionen Kinder – eine lebenswichtige Versorgung zu ermöglichen. Der grösste Finanzierungsbedarf besteht in den Bereichen Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, Gesundheit und Bildung, während der Schutz weiterhin hohe Priorität hat.

«Die Situation für die betroffenen Kinder in der Türkei verbessert sich, aber es bleibt noch viel zu tun», sagte Russell. «In Syrien verschlechtert sich die humanitäre Lage für Kinder und Familien stetig. Ohne weitere humanitäre Anstrengungen und Ressourcen zur Wiederherstellung grundlegender Dienste wie Bildung, Wasser- und Abwassersysteme werden die Kinder in Syrien weiterhin einem Teufelskreis aus Entbehrungen und Krisen ausgesetzt sein.»