39 Milliarden verpasste Mahlzeiten: Wenn Schulschliessungen zu Hunger führen

Saskia Kobelt
Saskia Kobelt

Das Ausmass der Schulschliessungen aufgrund der Covid-19-Pandemie ist beispiellos: Millionen Kindern ist nicht nur der Zugang zu Bildung entzogen worden, sondern auch eine verlässliche Quelle für ihre Ernährung. Vor den verheerenden Folgen warnen UNICEF und das WFP.

© UNICEF/UNI205795/Hearfield
2. Klässler bekommen ihr Mittagessen in der Schule. Südafrika, 2019

Schulmahlzeiten, oft die einzige nahrhafte Mahlzeit, die Kinder täglich erhalten, müssen in den Plänen zur Wiedereröffnung von Schulen Vorrang haben.

Seit Beginn der Covid-19-Pandemie sind weltweit mehr als 39 Milliarden Schulmahlzeiten aufgrund von Schulschliessungen ausgefallen. Dies geht aus einem Bericht hervor, der vom «UNICEF Office of Research – Innocenti» und dem Welternährungsprogramm (WFP) veröffentlicht wurde. So stellt «COVID-19: Missing More Than a Classroom» fest, dass 370 Millionen Kinder in 150 Ländern im Durchschnitt 40 Prozent der Schulmahlzeiten verpasst haben, seit die Klassenzimmer geschlossen wurden. Zudem gab es während der Pandemie in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen einen 30%-igen Rückgang bei der Versorgung mit essenziellen Ernährungsdiensten wie Mikronährstoffergänzungen und Ernährungsförderungsprogrammen, sowie bei Programmen zur Behandlung von schwerer Unterernährung bei Kindern. Mit verheerenden Folgen:

Die Pandemie wird gemäss Prognosen zum ersten Mal seit Aufzeichnung zu einem Rückgang des Human Development Index (HDI) führen. Schätzungen gehen davon aus, dass aufgrund der wirtschaftlichen Rezession zusätzlich 88 bis 115 Millionen Menschen in die extreme Armut gedrängt werden und somit die Gesamtzahl der Menschen die unter 1,90 US-Dollar pro Tag leben müssen, zum ersten Mal seit über 20 Jahren auf ungefähr 729 Millionen Menschen ansteigen wird. Aufgrund der Einkommensverluste und fehlenden Rücküberweisungen wird sich die Zahl der ernährungsunsicheren Menschen weltweit von 135 Millionen auf 265 Millionen – darunter 74 Millionen Kinder – verdoppeln.

Ernährungsdefizite und alle Formen der Unterernährung waren tragischerweise bereits vor Covid-19 weit verbreitet: 690 Millionen Menschen, das entspricht 8,9 Prozent der Weltbevölkerung, waren unterernährt, 135 Millionen Menschen in 55 Ländern befanden sich in Ernährungskrisen und 2 Milliarden Menschen hatten keinen regelmässigen Zugang zu sicherer, nahrhafter und ausreichender Nahrung. Umfragedaten aus 68 Ländern aus der Zeit vor der Pandemie zeigen, dass etwa 50 Prozent der Kinder im Alter von 13 bis 17 Jahren über Hungergefühle berichteten. Weitere Daten aus 17 Ländern zeigten, dass in einigen Ländern bis zu zwei Drittel der Jugendlichen zwischen 15 und 19 Jahren untergewichtig waren. Die Covid-19-Krise verschärft diese Nöte und könnte dazu führen, dass weitere 121 Millionen Menschen von akuter lebensbedrohlicher Ernährungsunsicherheit betroffen sein werden. 

© UNICEF/UN0123441/Nesbitt

«Das Fehlen von nahrhaftem Schulessen gefährdet die Zukunft von Millionen der ärmsten Kinder der Welt. Wir riskieren, eine ganze Generation zu verlieren.» 

David Beasley, WFP-Exekutivdirektor

Schulmahlzeiten sind nicht nur für die Ernährung, das Wachstum und die Entwicklung von Kindern von entscheidender Bedeutung. Sie bieten aufgrund der finanziellen Entlastung auch einen starken Anreiz für Eltern und Gemeinschaften ihre Kinder in die Schule zu schicken. Doch jüngsten Schätzungen zufolge laufen 24 Millionen Schulkinder – insbesondere Mädchen und Kinder aus den ärmsten und stärksten marginalisierten Gemeinschaften – Gefahr, aufgrund der Pandemie die Schule verlassen zu müssen und damit die in den letzten Jahrzehnten erzielten Fortschritte bei der Einschulung zunichte zu machen. Je länger Schulschliessungen dauern, desto stärker sind Kinder Armut, häuslicher Gewalt und kulturellen Praktiken ausgesetzt und desto mehr steigt das Risiko der Schulabbrüche. So laufen Mädchen Gefahr die Schule aufgrund ungewollter Schwangerschaft, Prostitution oder Kinderheirat abzubrechen.

Seit Beginn der Pandemie hat UNICEF die nationalen Regierungen dabei unterstützt, die Kontinuität der Ernährungsdienste für Kinder und Jugendliche im Schulalter aufrechtzuerhalten. Im Jahr 2020 profitierten fast 25 Millionen schulpflichtige Kinder und Jugendliche von Programmen zur Prävention von Anämie (Blutarmut). Zugeschnitten auf den jeweiligen Kontext, kombinierten die meisten dieser Programme Ernährungserziehung und -beratung, Supplementierung mit Eisen und anderen essentiellen Mikronährstoffen sowie Entwurmungsprophylaxe.

UNICEF und das Welternährungsprogramm fordern die Regierungen auf, der Wiedereröffnung von Schulen Priorität einzuräumen und gleichzeitig sicherzustellen, dass die Gesundheits-, Nahrungsmittel- und Ernährungsbedürfnisse der Kinder durch umfassende, hochwertige Schulspeisungsprogramme erfüllt werden.

Jetzt ist es an der Zeit, in Lösungen zu investieren, die nicht nur der jetzigen Generation von Schulkindern helfen, sondern auch denen, die danach kommen.