Nach zehn Jahren Krieg – so steht es um die Menschen in Syrien

Jürg Keim
Jürg Keim

Zehn Jahre Krieg in Syrien haben der Bevölkerung nur Leid und Elend gebracht. Nahezu sechs Millionen Kinder sind in den Krieg hineingeboren, 3,2 Millionen besuchen keine Schule. Und ein Ende des Kriegs ist nicht in Sicht. Wir müssen alles daransetzen, diesen Kindern wieder ein Stück Normalität zurückzugeben. Indem wir mithelfen, das Land sukzessive wiederaufzubauen.

© UNICEF/UNI364612/Souleiman/AFP-Services

Können Sie sich ein Leben im Krieg vorstellen? An ein Leben auf der Flucht, in latenter Angst vor einem erneuten bewaffneten Angriff? Die sechs Millionen syrischen Kinder, die in diesen Krieg hineingeboren sind, kennen nichts Anderes. Für sie ist ihr Alltag geprägt von Vertreibung, Verlust und Not. Diese Kinder mögen davon träumen, wieder nach Hause zurückzukehren, genug Essen zu haben und sorglos zur Schule gehen zu können. Sie wünschen sich wohl, ihre traumatischen Erlebnissen hinter sich zu lassen oder nicht mehr in fensterlosen Ruinen zu leben und in Winternächten ohne zu frieren einfach nur schlafen zu dürfen. Und sie wären bestimmt dankbar für ein funktionierendes Gesundheitssystem. Doch all dies ist für die allermeisten Kinder noch immer nicht Realität.

Seit zehn Jahren tobt der Bürgerkrieg in Syrien. Der Konflikt hat die grösste Flüchtlingskrise seit dem 2. Weltkrieg ausgelöst. Seit Beginn im Jahr 2011 sind über 12 Millionen Menschen vertrieben und traumatisiert worden, die Hälfte davon Kinder. Fast 12 000 Kinder haben nachweislich ihr Leben verloren oder wurden verletzt. Und die Gewalt nimmt kein Ende. Vergangenes Jahr wurden noch über 500 Kinder bei Angriffen getötet, in den ersten Wochen von 2021 waren es über 20 Kinder. Das Kampfgeschehen konzentriert sich dabei weitgehend auf die letzte Rebellenbastion Idlib im Nordwesten des Landes. 

Dort haben sich auch die meisten Binnenflüchtlinge niedergelassen. Doch die Situation in den Flüchtlingslagern wie etwa in «El Hol» oder «Kafr Losin» ist prekär. Erst im Januar 2021 hatten heftige Regenfälle die Zeltstadt überflutet und von den Zubringerstrassen abgeschnitten. 

© UNICEF/UN0405690/Akacha

Schätzungsweise sind allein im Nordwesten Syriens 1,2 Millionen Kinder in ernster Not. Kinder und Familien suchen Zuflucht in öffentlichen Einrichtungen, Schulen, Moscheen, unvollendeten Gebäuden und Geschäften. Viele leben unter freiem Himmel, auch in Parks – und dies auch bei starkem Regen und während des garstigen Winters in eisiger Kälte. Der Zugang zu den grundlegendsten Dienstleistungen wie Wasser, Hygiene-Artikel oder sanitäre Einrichtungen ist entweder sehr eingeschränkt oder nicht vorhanden.

© UNICEF/UN0401402/Aldroubi

Pandemie verschärft die Situation weiter
In den Flüchtlingslagern gibt es für die Menschen kaum Möglichkeiten, Hygiene-Regeln zum Schutz vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus einzuhalten. Die Bevölkerung hungert, und die Covid-19-Pandemie hat die Situation weiter verschärft. Die Zahl der Bedürftigen ist allein im letzten Jahr um 20 Prozent gestiegen. 65 Prozent der Familien gaben an, dass sie ihre Grundbedürfnisse nicht befriedigen können. Fast 80 Prozent der Menschen in Syrien leben in Armut, 500 000 Kinder sind chronisch mangelernährt. 

© UNICEF/UN0401402/Aldroubi

Gleichzeitig ist das Gesundheitssystem im Land stark angeschlagen. Nur 42 Prozent der Spitäler sind funktionsfähig – überall fehlt es an Ärzten und Medikamenten. Auch das psychische Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen ist Besorgnis erregend: Allein im Jahr 2020 hat sich die Zahl der Kinder in psychischen Notlagen verdoppelt, ein Hinweis auf die lebenslangen Folgen, die der Krieg auf die psychische Gesundheit der Kinder in Syrien hat. 


Fertighausschulen lassen Träume wahr werden
3,2 Millionen syrische Kinder gehen nicht zur Schule, davon 2,45 Millionen innerhalb und 0.75 Millionen ausserhalb Syriens. Jede dritte Schule ist unbenutzbar, weil sie beschädigt oder zerstört ist, weil sie vertriebene Familien beherbergt oder zu militärischen Zwecken benutzt wird.

© UNICEF/UN0398846/Aldroubi

Viele Kinder in Syrien wissen nicht, was ein Klassenraum ist, und wenn, können sie sich nur noch vage daran erinnern. UNICEF unterstützt mit ihrer Programmarbeit auch die Bildung von notleidenden Kindern und Jugendlichen. Etwa durch den Bau von Fertigschulen wie in der Stadt Al-Hassakeh, wo insgesamt 2400 Kinder in zwölf von UNICEF zur Verfügung gestellten vorgefertigten Klassenräumen wieder den Schulunterricht besuchen können. 

Bettina Junker

Wir müssen alles in unserer Macht stehende tun, um den syrischen Kindern und Jugendlichen zu helfen, damit sie wieder eine Perspektive haben.

Bettina Junker, Geschäftsleiterin von UNICEF Schweiz und Liechtenstein
© UNICEF/UN0384460/Souleiman

Mehr Informationen zum 10-jährigen Bestehens des Syrienkonflikts finden Sie hier.