UN-Organisationen warnen vor Hungersnot in Gaza

Gaza ist von einer schweren Hungersnot bedroht, da die Indikatoren für Nahrungsmittelkonsum und Ernährung laut den Daten der jüngsten IPC-Warnung (Integrated Food Security Phase Classification) die schlimmsten Werte seit Beginn des Konflikts erreicht haben.

verzweifelte Menschen halten Töpfe für Essen hin
22 Juli 2025, Gaza Stadt, Kinder versuchen an Lebensmitteln aus Hilfsverteilzentren zu gelangen.

Der IPC-Alarm hebt hervor, dass zwei der drei Hungersnotschwellen in Teilen des Gebiets inzwischen überschritten wurden, wobei das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) und UNICEF warnen, dass die Reaktionszeit für umfassende humanitäre Hilfe knapp wird.

Der anhaltende Konflikt, der Zusammenbruch grundlegender Dienstleistungen und die starken Einschränkungen bei der Lieferung und Verteilung humanitärer Hilfe haben zu einer katastrophalen Hungerkrise für hunderttausende Menschen im gesamten Gazastreifen geführt.

Der Nahrungsmittelverbrauch – der erste zentrale Indikator für Hungersnöte – ist in Gaza seit der letzten IPC-Aktualisierung im Mai 2025 drastisch zurückgegangen. Daten zeigen, dass mehr als jede Dritte Person (39 Prozent) derzeit tagelang ohne Nahrung auskommen muss. Mehr als 500 000 Menschen – fast ein Viertel der Bevölkerung Gazas – leiden unter hungersnotähnlichen Bedingungen, während der Rest der Bevölkerung mit einer Hungersnot auf Notfallniveau konfrontiert ist.

Die akute Mangelernährung – der zweite zentrale Indikator für Hungersnöte – hat in Gaza in beispiellosem Ausmass zugenommen. In Gaza-Stadt hat sich die Mangelernährung bei Kindern unter fünf Jahren innerhalb von zwei Monaten vervierfacht und liegt nun bei 16,5 Prozent. Dies deutet auf eine kritische Verschlechterung des Ernährungszustands und einen starken Anstieg des Risikos hin, an Hunger und Unterernährung zu sterben.

Akute Mangelernährung und Berichte über Todesfälle aufgrund von Hunger – der dritte zentrale Indikator für Hungersnöte – werden immer häufiger. Unter den derzeitigen Umständen in Gaza ist es jedoch nach wie vor sehr schwierig, verlässliche Daten zu erheben, da das Gesundheitssystem, das bereits durch den fast dreijährigen Konflikt stark dezimiert ist, zusammenbricht.

«Das unerträgliche Leid der Menschen in Gaza ist für die Welt bereits deutlich sichtbar. Es ist unverantwortlich, auf die offizielle Bestätigung einer Hungersnot zu warten, um die lebensrettende Nahrungsmittelhilfe zu leisten, die sie dringend benötigen», sagte Cindy McCain, Exekutivdirektorin des WFP. «Wir müssen Gaza sofort und ohne Hindernisse mit gross angelegter Nahrungsmittelhilfe versorgen und diese jeden Tag aufrechterhalten, um eine Massenhungersnot zu verhindern. Die Menschen sterben bereits an Unterernährung, und je länger wir mit Massnahmen warten, desto stärker wird die Zahl der Todesopfer steigen.»

Im Juli 2025 waren über 320 000 Kinder, also die gesamte Bevölkerung unter fünf Jahren im Gazastreifen, von akuter Mangelernährung bedroht. Davon litten Tausende an schwerer akuter Mangelernährung, der tödlichsten Form der Unterernährung. Die grundlegenden Ernährungsdienste sind zusammengebrochen, sodass Säuglinge keinen Zugang zu sauberem Wasser, Muttermilchersatzprodukten und therapeutischer Ernährung haben.  

Im Juni wurden 6 500 Kinder zur Behandlung von Mangelernährung aufgenommen, die höchste Zahl seit Beginn des Konflikts. Im Juli sind die Zahlen noch höher, allein in den ersten beiden Wochen wurden 5 000 Kinder aufgenommen. Da derzeit weniger als 15 Prozent der grundlegenden Ernährungsdienstleistungen funktionieren, ist das Risiko von Todesfällen aufgrund von Unterernährung bei Säuglingen und Kleinkindern höher denn je. 

«Ausgemergelte Kinder und Babys sterben in Gaza an Unterernährung», sagte UNICEF-Exekutivdirektorin Catherine Russell. «Wir brauchen sofortigen, sicheren und ungehinderten humanitären Zugang in ganz Gaza, um die Lieferung von lebensrettenden Nahrungsmitteln, Nahrungsergänzungsmitteln, Wasser und Medikamenten zu verstärken. Ohne diesen Zugang werden Mütter und Väter weiterhin mit dem schlimmsten Albtraum aller Eltern konfrontiert sein: Sie sind machtlos, ihr hungerndes Kind vor einem Schicksal zu bewahren, das wir verhindern könnten.»

Trotz der teilweisen Wiederöffnung der Grenzübergänge erreicht Gaza derzeit nur ein Bruchteil der dringend benötigten humanitären Hilfe.  Die Hilfslieferungen decken bei weitem nicht den monatlichen Bedarf der über zwei Millionen Menschen im Gazastreifen.

Allein um den grundlegenden Bedarf an humanitärer Nahrungsmittel- und Ernährungshilfe in Gaza zu decken, werden jeden Monat mehr als 62.000 Tonnen lebensrettende Hilfsgüter benötigt. Die Wiederaufnahme kommerzieller Nahrungsmittelimporte ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung, um eine abwechslungsreiche Ernährung mit frischem Obst, Gemüse, Milchprodukten und Proteinen wie Fleisch und Fisch zu gewährleisten.

Darüber hinaus untergräbt der Mangel an Treibstoff, Wasser und anderen lebenswichtigen Hilfsgütern weiterhin die Bemühungen, Hungersnot und Todesfälle unter Kindern zu verhindern.

Die UN-Organisationen begrüssen die neusten Zusagen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für humanitäre Organisationen, einschliesslich der Einführung humanitärer Feuerpausen und ausgewiesener humanitärer Korridore. Sie hoffen, dass diese Massnahmen einen Anstieg der dringend benötigten Nahrungsmittel- und Ernährungshilfe ermöglichen, damit hungernde Menschen ohne weitere Verzögerungen versorgt werden können.

Die UN-Organisationen wiederholen ausserdem ihre dringenden Forderungen nach:

  • Einem sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand, um das Töten zu beenden, die sichere Freilassung von Geiseln zu ermöglichen und weiterhin lebensrettende humanitäre Hilfe leisten zu können.
  • Einem dauerhaften sicheren und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe, um über alle verfügbaren Grenzübergänge Hilfe in grossem Umfang zu leisten. Nur so können Familien in Not in ganz Gaza zuverlässig mit Lebensmitteln, Nahrungsmitteln, Wasser, Treibstoff und medizinischer Hilfe versorgt werden.
  • Der dringenden Wiederherstellung des Handelsverkehrs in Gaza, indem die kommerziellen Lieferketten wiederbelebt werden, um die lokalen Märkte wieder aufzubauen.
  • Der Schutz von Zivilisten und humanitären Helfern sowie die Wiederherstellung grundlegender Dienstleistungen, insbesondere der Gesundheits-, Wasser- und Abwasserinfrastruktur.
  • Investitionen in die Wiederherstellung lokaler Ernährungssysteme, einschliesslich der Wiederbelebung von Bäckereien, Märkten und der Sanierung der Landwirtschaft.