365 Tage Krieg: Kindern im Sudan droht Katastrophe

Ein Jahr nach dem Ausbruch der Gewalt im Sudan und der damit verbundenen Verschärfung der Krise im Land stehen das Leben, die Ausbildung und die Zukunft einer ganzen Generation sudanesischer Kinder auf dem Spiel.

Ein Kind isst therapeutische Nahrung und schaut in die Kamera.
Die einjährige Amna kommt dank der gebrauchsfertigen therapeutischen Nahrung in der Gesundheitseinrichtung Al-Arab wieder zu Kräften. Sie ist eines der 700 000 Kinder im Sudan, die aufgrund des Krieges und dem mangelnden Zugang zu Gesundheitseinrichtungen unter schwerer akuter Mangelernährung leiden.

Abgesehen von den direkten Auswirkungen der gewaltvollen Ausschreitungen auf die Kinder hat der anhaltende Krieg zu einer tödlichen Kombination aus Vertreibung, Krankheitsausbrüchen und Hunger geführt. Knapp vier Millionen Kinder unter fünf Jahren werden in diesem Jahr voraussichtlich an akuter Mangelernährung leiden, davon 730 000 an einer lebensbedrohlichen schweren akuten Mangelernährung. Zusätzlich herrscht im Sudan derzeit eine der schlimmsten Bildungskrisen der Welt: Mehr als 90 Prozent der 19 Millionen schulpflichtigen Mädchen und Buben des Landes haben keinen Zugang zu formaler Bildung. Die anhaltende Unterbrechung der Bildungsangebote wird im Sudan zu einer generationsübergreifenden Krise führen.

«Dieser brutale Krieg und die drohende Hungersnot schaffen ein bedrohliches Umfeld für einen katastrophalen Verlust an Kinderleben», sagte der stellvertretende UNICEF-Exekutivdirektor Ted Chaiban. «Fast die Hälfte der Kinder, die an schwerer akuter Mangelernährung leiden, leben in schwer zugänglichen Gebieten, in denen ständig gekämpft wird. Das macht ihre Lage noch schlimmer. All dies ist vermeidbar und wir können Leben retten, wenn alle Konfliktparteien uns den Zugang zu den bedürftigen Gemeinschaften und die Erfüllung unseres humanitären Mandats ermöglichen – ohne die Hilfe zu politisieren.»

Hunger und Mangelernährung machen Kinder viel anfälliger für Krankheiten und den Tod. Da die Durchimpfungsrate aufgrund der Kämpfe deutlich gesunken ist, Hunderttausende Mädchen und Buben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben und es erhebliche Zugangsprobleme gibt, bedrohen anhaltende Krankheitsausbrüche wie Cholera, Masern, Malaria und Denguefieber das Leben von unzähligen Kindern. Ein sprunghafter Anstieg der Sterblichkeitsrate – vor allem bei intern vertriebenen Kindern – ist eine Vorwarnung für einen möglichen hohen Verlust an Menschenleben. Besonders jetzt, wo das Land in die jährliche magere Jahreszeit eintritt.

Die Sicherstellung eines nachhaltigen Zugangs zu gefährdeten Bevölkerungsgruppen ist von entscheidender Bedeutung für die Verhinderung von Hungerkatastrophen. Denn im Sudan stehen die grundlegenden Systeme und sozialen Dienste kurz vor dem Zusammenbruch: Die Mitarbeiter an vorderster Front können seit einem Jahr nicht mehr bezahlt werden, lebenswichtige Vorräte sind aufgebraucht und wichtige Infrastruktur – einschliesslich Krankenhäuser und Schulen – wird weiterhin angegriffen. Der fehlende Zugang von Kindern und Familien zu Gesundheitsdiensten, Ernährung, sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen verschärft die humanitäre Krise zusätzlich.
Die anhaltenden Feindseligkeiten haben dazu geführt, dass sich die Berichte über schwere Kinderrechtsverletzungen vom Jahr 2022 bis 2023 verfünffacht haben – insbesondere die Rekrutierung und der Einsatz von Kindern durch Streitkräfte und bewaffnete Gruppen sowie die Tötung, Verstümmelung und sexuelle Gewalt gegen Kinder. Im Jahr 2023 wurde im Sudan die höchste Zahl schwerer Kinderrechtsverletzungen seit mehr als einem Jahrzehnt festgestellt. Die tatsächlichen Zahlen sind wahrscheinlich weitaus höher als die gemeldeten, da es aufgrund von Zugangsproblemen äusserst schwierig ist, Verstösse zu überprüfen.

Im Land hat sich die weltweit grösste Kindervertreibungskrise entwickelt: Seit April 2023 wurden mehr als vier Millionen Kinder aus ihren Häusern vertrieben. Darunter fast eine Million Kinder, die in die Nachbarländer, insbesondere in den Tschad, nach Ägypten und in den Südsudan, flüchteten. Viele Geflüchtete und Rückkehrende kommen in Gebieten an, in denen es bereits gefährdete und unterversorgte Gemeinschaften gibt, die mit mehreren Notlagen und Krisen zu kämpfen haben.

«Das Ausmass des Bedarfs ist so überwältigend, dass es schwer ist, ihn in die richtige Perspektive zu rücken – aber wir dürfen nicht vergessen, dass dies nicht nur Zahlen sind», sagte Chaiban. «Diese Zahlen stehen für Millionen von Kindern mit Namen, Geschichten, Hoffnungen und Träumen. Doch ohne eine erhebliche Aufstockung der lebensrettenden Dienste, die Wiedereröffnung von Schulen und vor allem ein Ende des Krieges werden diese Hoffnungen und Träume für eine Generation und die Zukunft des Sudan verloren sein.»

UNICEF leistet lebensrettende Hilfe in den Bereichen Kinderschutz, geschlechtsspezifische Gewalt, Gesundheit, Ernährung, WASH, Bildung und Bargeldunterstützung für die am meisten gefährdeten Kinder und Familien. Um in den 93 am stärksten gefährdeten Orten im Sudan eine Hungersnot zu verhindern, bittet UNICEF dringend um 240 Millionen US-Dollar.

«Nach 365 Tagen des Konflikts stehen die Kinder im Sudan immer noch am Rande eines schrecklichen Krieges. Ohne dringende konzertierte Massnahmen und zusätzliche Ressourcen droht dem Land eine generationsübergreifende Katastrophe, die schwerwiegende Auswirkungen auf das Land, die Region und darüber hinaus haben wird», sagte Chaiban. «Wenn nicht unverzüglich Schritte unternommen werden, um der Gewalt Einhalt zu gebieten, den Zugang für humanitäre Hilfe zu erleichtern und den Bedürftigen lebensrettende Hilfe zukommen zu lassen, ist es wahrscheinlich, dass eine noch schlimmere Katastrophe die Kinder für viele weitere Jahre treffen wird.»