«JA» zur gesetzlichen Verankerung der gewaltfreien Erziehung

Jegliche Form von Gewalt verletzt die psychische wie auch körperliche Integrität von Kindern. UNICEF Schweiz und Liechtenstein empfiehlt der Rechtskommission des Ständerats die Annahme der Motion Bulliard 19.4632 und damit die Verankerung des Rechts der Kinder auf eine gewaltfreie Erziehung im ZGB.

© UNICEF/UN0597721/Filippov

Mit der Ratifikation der UN-Konvention über die Rechte des Kindes im Jahr 1997 hat sich die Schweiz verpflichtet, Kinder vor jeder Form von Gewalt zu schützen und entsprechende präventive und reaktive Massnahmen zu treffen. Dazu gehört ein gesetzlich verankertes Recht auf gewaltfreie Erziehung. Die Schweiz wurde vom UN-Kinderrechtsausschusses im Oktober 2021 bereits zum dritten Mal gemahnt, Gewalt in der Erziehung explizit zu verbieten.

Nach der Annahme des Postulats Bulliard 20.3185 «Schutz von Kindern vor Gewalt in der Erziehung», kommt der Bundesrat in seinem am 19. Oktober veröffentlichten Bericht zwar zum Schluss, dass die geltenden Gesetze ausreichend sind. Gleichzeitig erkennt er den Nutzen einer gesetzlichen Verankerung der gewaltfreien Erziehung. Durch eine Ergänzung der Abs. 1 und 4 im Art. 302 ZGB bietet der Bundesrat konkrete Lösungsvorschläge an, die den Erziehungsberechtigten weiterhin Erziehungsfreiheit gewährt aber gleichzeitig auch präventiv gegen Gewalt in der Erziehung wirken sollen. Basierend auf diesem ambivalenten Bericht wird die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates (RK-S) am 3. November die Motion Bulliard 19.4632 «Gewaltfreie Erziehung im ZGB verankern» behandeln.

Gemäss einer Studie von Kinderschutz Schweiz aus dem Jahr 2020 zum Bestrafungsverhalten von Eltern in der Schweiz erfährt jedes vierte Kind regelmässig psychische Gewalt. Nur 57 Prozent der Eltern gaben an, gegenüber ihrem Kind nie körperliche Gewalt angewendet zu haben. Die Studie zeigt weiter auf, dass Eltern, die Gewalt gegenüber Kindern anwenden, an Unterstützung und Hilfen interessiert sind. Diese Zahlen decken sich mit den Resultaten der von UNICEF Schweiz und Liechtenstein durchgeführten Umfrage «Kinderrechte aus Kinder- und Jugendsicht» aus dem Jahr 2021. Eine neue wissenschaftliche Begleitstudie zum Bestrafungsverhalten von Eltern in der Schweiz zeigt zudem, dass psychische Gewalt von fast 40 Prozent der Eltern als zulässig angesehen wird. Zwei Drittel der Eltern sind überzeugt, eine gesetzliche Verankerung fördere die gesellschaftliche Bereitschaft zur gewaltfreien Erziehung.  

Dies zeigt deutlich auf, dass es beim Schutz von Kindern keinen Spielraum für Interpretationen geben darf und nur eine eindeutige Aufnahme der gewaltfreien Erziehung ins Gesetz ein Fundament für Sensibilisierung und Prävention schafft. Auch wenn ein Gesetzesartikel das Problem der Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen nicht umfänglich behebt, macht er unmissverständlich klar, welche Haltung die Gesellschaft einnimmt. Ausgehend davon wird weitgehende und einheitliche Sensibilisierungs- und Präventionsarbeit erst möglich. UNICEF Schweiz und Liechtenstein setzt sich für rechtliche Rahmenbedingungen ein, die garantieren, dass die psychische wie auch körperliche Integrität von Kindern geschützt und bewahrt wird. Wie bereits in der Positionierung vom Dezember 2020 festgehalten, befürwortet UNICEF Schweiz und Liechtenstein weiterhin den parlamentarischen Vorstoss. Gemeinsam mit mehreren zivilgesellschaftlichen Organisationen empfiehlt UNICEF Schweiz und Liechtenstein in einem offenen Brief an die RK-S, sich beim Rat für die Annahme der Motion Bulliard auszusprechen. 

Lesen Sie hier den offenen Brief an die Rechtskommission des Ständerats.