Lage im Gazastreifen: «Jetzt ist eingetreten, wovor wir uns gefürchtet haben»

Statement von Adele Khodr, UNICEF-Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika 

Mangelernährung Gaza
Der Wert des Oberarmumfangs der 2-jährigen Leen deutet auf eine schwere akute Mangelernährung. Vor dem Krieg wurde sie aktiv mit geeigneten Medikamenten behandelt, in den letzten Monaten verlor sie aufgrund des fehlenden Zugangs zu Medikamenten und angemessener Nahrung stark an Gewicht. UNICEF verlegte Leen zur Behandlung in das Al Awda-Krankenhaus.

«Jetzt ist eingetreten, wovor wir uns gefürchtet haben: Kinder im Gazastreifen sterben an Mangelernährung.

Im Kamal Adwan Krankenhaus im nördlichen Gazastreifen sollen in den letzten Tagen mindestens zehn Kinder an Dehydrierung und Mangelernährung gestorben sein. Vermutlich kämpfen noch mehr Kinder irgendwo in einem der noch verbleibenden Krankenhäuser im Gazastreifen um ihr Leben. Und sehr wahrscheinlich gibt es noch mehr Kinder im Norden, die überhaupt keine medizinische Versorgung erhalten können.

Diese tragischen und entsetzlichen Todesfälle sind von Menschen verursacht, vorhersehbar und völlig vermeidbar.

Der weit verbreitete Mangel an nahrhaften Lebensmitteln, sicherem Wasser und medizinischer Versorgung – eine direkte Folge der Zugangsbeschränkungen und der zahlreichen Gefahren, denen die humanitären Operationen der Vereinten Nationen ausgesetzt sind – wirken sich insbesondere im nördlichen Gazastreifen auf Kinder und stillende Mütter aus. Die Menschen sind hungrig, erschöpft und traumatisiert. Viele kämpfen ums Überleben.

Die unterschiedlichen Bedingungen im Norden und Süden sind ein klarer Beweis dafür, dass die Einschränkungen der humanitären Hilfe im Norden Leben kosten. Im Januar ergaben Untersuchungen zur Mangelernährung von UNICEF- und WFP, dass fast 16 Prozent - oder 1 von 6 Kindern unter 2 Jahren - akut mangelernährt sind. Ähnliche Untersuchungen im Süden, in Rafah, wo mehr Hilfe zur Verfügung steht, ergaben, dass 5 Prozent der Kinder unter 2 Jahren akut mangelernährt sind.

Humanitären Hilfsorganisationen wie UNICEF muss es möglich gemacht werden, diese humanitäre Krise zu beenden, eine Hungersnot zu verhindern und das Leben von Kindern zu retten. Dafür brauchen wir einerseits verlässliche Zugangspunkte von allen möglichen Grenzübergängen, um Hilfsgüter in den Gazastreifen einzubringen – auch in den Norden. Andererseits brauchen wir Sicherheitsgarantien und ungehinderten Zugang, um Hilfsgüter in grossem Umfang im gesamten Gazastreifen zu verteilen - ohne Verweigerungen, Verzögerungen und Zugangsbeschränkungen.

UNICEF warnt seit Oktober davor, dass die Zahl der Todesopfer im Gazastreifen exponentiell ansteigen würde, wenn eine humanitäre Krise ausbricht und nichts unternommen wird. Die Situation hat sich seither nur verschlimmert. Deshalb haben wir letzte Woche gewarnt, dass ein explosiver Anstieg der Kindersterblichkeit unmittelbar bevorsteht, wenn die aufkeimende Ernährungskrise nicht gelöst wird.

Jetzt sind die von uns befürchteten Todesfälle bei Kindern eingetreten und werden wahrscheinlich rasch zunehmen, wenn der Konflikt nicht beendet und die Hindernisse für die humanitäre Hilfe nicht unverzüglich beseitigt werden.

Das Gefühl der Hilflosigkeit und Verzweiflung bei Eltern und Ärzten darüber, dass lebensrettende Hilfe nur wenige Kilometer entfernt wäre, aber ihnen verwehrt bleibt, muss unerträglich sein. Aber noch schlimmer sind die verzweifelten Schreie der Babys, die vor den Augen der Welt mit dem Leben ringen. Das Leben von Tausenden weiterer Babys und Kinder hängt davon ab, ob jetzt schnell gehandelt wird.»